Über den Heimatort

Schwelle mit einem Satz aus einem Gedicht von Nelly Sachs am Gedenkstein, der zum "Stein der Begegnung" wurde.

Kapitel: Über den Ort / Vergangenheit am Ort



Die Vergangenheit am Ort

Einen Bezug zum dunkelsten Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte gibt es in Hochstädten durch einen ehemaligen Rüstungsbetrieb, der in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als "Außenlager Auerbach" des KZ Natzweiler-Struthof aufgelistet wird. Dort waren gegen Ende des 2. Weltkrieges verschleppte Griechen und KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter eingesetzt. Für die Zwangsarbeiter und diese Vergangenheit am Ort wurde im Jahr 2012 der Stein der Begegnung neben dem Friedensmal oberhalb von Hochstädten gesetzt. Dieser Gedenkstein erinnert im Kontext eines Krieges und Zivilisationsbruchs, sich nicht von Ideologien gefangen nehmen zu lassen und sich die positive „Idee von Jerusalem” (Inschrift auf dem Stein: Yerushalayim - ein Ruf voller Liebe für die Freiheit des Menschen…) zu bewahren. "Yerushalayim" steht hier als Metapher mit dem Bezug zum jüdisch-christlichen Erbe unserer Kultur dafür, sich gerade wegen des Leids und des Bösen in der Welt um eine positive Zukunftsvision zu bemühen. Die Informationen zur gesamten Gedenkstätte, die dieser positiven Zukunftsvision gewidmet ist, finden Sie hier.


Die griechischen Zwangsarbeiter

Der Satz "Wo sich Staub zu Licht wandelt" auf der Schieferplatte unter dem 12. Erinnerungsstein, dem Stein der Begegnung wurde nach einem Gedicht von Nelly Sachs „Ihr Zuschauenden” gewählt. Vor dieser Seite des Steins der Begegnung stehend schaut man nach Westen in das Hochstädter Tal. Gegen Ende des 2. Weltkriegs war dort ein Rüstungsbetrieb mit einem Forschungs- und Entwicklungsinstitut in unterirdischen Stollen aufgebaut worden. Die Lage sollte vor den Bombenangriffen der Alliierten schützen. Der Betrieb stand unter der Leitung der Firma Heymann, die von der SS mit beträchtlichen Mitteln gefördert wurde. Ein Großteil der im Nachbarort Auerbach untergebrachten 129 griechischen Zwangsarbeiter musste jeden Morgen den Marsch nach Hochstädten antreten (Referenz, unter dem Link finden Sie weitere Informationen zu den griechischen Zwangsarbeitern). Unter unwürdigen Bedingungen mussten sie dort die Stollen eines Bergwerks für das Institut ausbauen. Die griechischen Männer waren am 17. 8. 1944 bei der Razzia von Kokkinia (heute Nikea, bei Athen) vom deutschen Militär festgenommen und nach Deutschland für die Zwangsarbeit verschleppt worden.


Gedenken an die in Hochstädten gestorbenen Häftlinge

Hier sind 22 Opfer begraben, griechische Zwangsarbeiter und Häftlinge des KZ-Außenlagers: Stergies Kalleicis, Theodores Saweidas, Trifon Georgoglu, Josef Chapera, Franz Samartorkane, Leon Duflot, Nikolaos Prento, Stanislaus Cyarskij, Boguslav Ciesiel, Alex M. Szamokine, Victor Msyichowski, Luzian Dawiko, Franziscek Diasek, Ignatz Stys, Adam Namusiwitsch, Wlodzimierz Lipowski, Leon Quflot sowie 6 Unbekannte.


Grabstein KZ-Häftlinge und griechische Zwangsarbeiter
Gedenken am Friedhof in Auerbach


Ein KZ-Außenlager von Natzweiler-Struthof / Elsass

KZ-Häftlinge wurden als Facharbeiter für die Bedienung von Werkzeugmaschinen, für die technische Entwicklung und für Bauarbeiten eingesetzt. Laut eines Zeitzeugen (Herr Bitsch, Hochstädten) hatten sie in Hochstädten im Sauloch den Rohbau von drei weiteren Barracken fertiggestellt. Eine Baracke hinter dem heutigen Tennisplatz in Hochstädten war bereits fertig und mit Inventar für die technische Entwicklung ausgestattet (Zeichenbretter, Zeichenrollen...). Im Wald dahinter war eine Barracke als gemeinsame Unterkunft für die KZ-Häftlinge und das Wachpersonal gebaut worden. Ursprünglich war der Betrieb in Darmstadt angesiedelt. Auf Grund der Angriffe der Alliierten wurde er Ende September 1944 nach Bensheim-Hochstädten verlagert (Referenz, S. 39), um die Bergwerksstollen als Schutz vor Luftangriffen zu nutzen. Vermutlich sollten Kreiselkontrollsysteme für die Stabilisierung von Flugkörpern und Torpedos gefertigt werden. Laut des Zeitzeugen war die zukünftige Produktionshalle im Bergwerk (Heymann-Saal) noch im Ausbau. Mit modernen Maschinen wurden jedoch bereits in den Seitengängen der Mine Gehäuseteile vom ca. 10 cm Durchmesser für technische Systeme produziert. Nach dem Krieg wurden die Maschinen, vor allem Drehbänke, zunächst in einer Halle des Handwerksbetriebs Fuchs in Bensheim-Auerbach untergestellt. Sie waren laut des Zeitzeugen als Reparationsleistung für die Siegermächte vorgesehen.

Der Betrieb befand sich in Hochstädten, da die Häftlinge aber bei der Verlegung in Auerbach untergebracht waren, wurde es als Außenlager „Bensheim-Auerbach” des KZ Natzweiler im Elsass geführt. Geplant war bereits für Darmstadt der Ausbau auf 300 Häftlinge (
Referenz, S. 49 u. 51). Das konnte jedoch auch in Bensheim-Auerbach bzw. Hochstädten nicht mehr verwirklicht werden. Im Oktober 1944 waren hier ca. 25 KZ-Häftlinge untergebracht (Referenz). Spätestens ab dem 6. Februar 1945 war die Lagerbelegung auf ca. 60 Häftlinge angestiegen (Referenz, S. 88, S. 120). „Bei einer Firma, die in Hochstädten in einem Stollen untergebracht war, haben ca. 20 Häftlinge ... an Drehbänken gearbeitet. Etwa 10 Lagerinsassen waren bei Außenarbeiten an diesem Stollen eingesetzt; diese haben einen Luftschacht gebaut. Etwa 6 Insassen arbeiteten in einer Baracke unmittelbar beim Lager. Diese waren mit Zeichenarbeiten beschäftigt. Der Rest war im Wald beim Holzfällen und Errichtung von Baracken eingesetzt” (Barch B 162 / IV 419 AR 1436/68). Die letzte gesicherte Angabe über die Belegung des Außenlagers ist eine Liste des KZ-Dachau in der verzeichnet ist, dass dort 75 Häftlinge am 2. 4. 1945 vom Außenlager Auerbach eintrafen (Referenz). Darin eingerechnet sind 15 - 21 Häftlinge aus dem Unterlager Darmstadt-Grießheim, das verwaltungstechnisch über das Außenlager Auerbach geführt wurde. Das bestätigt die Belegung des Außenlagers Auerbach mit ca. 60 Häftlingen zur Zeit der Schließung. (Bitte beachten Sie, dass gemäß der Liste ein Häftling auf dem Weg nach Dachau starb. Auch war es wahrscheinlich, dass einige Häftlinge bei der Evakuierung fliehen konnten. Laut des Sterbebuchs des Standesamtes Bensheim sind im KZ-Außenlager Bensheim-Auerbach insgesamt 15 Häftlinge verstorben. Die Griechen sind hier nicht eingerechnet.)

Diese Tafel (Arno Huth, KZ-Gedenkstätte Neckarelz) über die Auflösung des KZ Natzweiler zeigt das System der Außenlager und welchen Platz darin das Außenlager Bensheim-Auerbach einnahm. Bevor die Alliierten am 27. 3. 1945 eintreffen sollten, wurde wenige Tage zuvor das Außenlager geräumt. Die Häftlinge wurden in das Konzentrationslager Dachau evakuiert. Thema ist somit auch das eine System von Haupt- und Nebenlagern, das während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft Europa überzog. Nach einem Bericht der New York Times vom 1. März 2013 gab es ca. 42.500 NS-Lager, Ghettos und Einrichtungen mit Zwangsarbeitern in den von Deutschland kontrollierten Gebieten Europas bis nach Russland hinein. Man hätte in Deutschland kaum irgendwo hingehen können, ohne auf ein Lager zu treffen, heißt es in dem Bericht (Referenz). Beim ehemaligen Außenlager Bensheim-Auerbach geht es also gar nicht darum, diesen Ort als einen Ort mit einer "dunklen Vergangenheit" hervorzuheben. Im Gegenteil: es geht darum bewusst zu machen, wie weit verbreitet und in diesem Sinne gewöhnlich das Lagerwesen gegen Ende des Krieges war.

Vielen Dank an Herrn Arno Huth von der KZ-Gedenkstätte Neckarelz und auch Herrn Dr. Kilthau vom Synagogenverein Zwingenberg für die bereitgestellten zeitgeschichtlichen Dokumente. Die hier zu findenden Informationen wurden im Jahr 2017 von Thomas Zieringer recherchiert und veröffentlicht.


Die raue Seite des Grenzsteins

Diese Seite des Steins der Begegnung, roh und unbeschriftet, ist als Erinnerungsstein dem Gelände eines ehemaligen Rüstungsbetriebs in Bensheim-Hochstädten zugewandt, in dem Häftlinge des KZ-Außenlagers Auerbach arbeiteten. Sie spricht darin das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte an. Auch dies wird deshalb an diesem Ort zum Thema: Hinter den auf dem Bild sichtbaren Bäumen und einem Hügel liegt Bensheim und dahinter die Rheinebene. Einst gab es ein reiches jüdisches Leben in unserer Gegend. In der Nacht vom 9. November 1938 und am folgenden Tag brannten die Synagogen; auch in den Städten Speyer, Worms und Mainz mit ihrer großen jüdischen Vergangenheit. Am 10. November brannte auch die Synagoge in Bensheim. Die jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland und später weit darüber hinaus wurden zerstört. Die jüdischen Deutschen wurden vertrieben oder ermordet. In Bensheim war man damals „staatstragend”. Nach der Bombardierung Darmstadts im 2. Weltkrieg wurde die Gestapo-Dienststelle für Hessen nach Bensheim verlegt (Kirchbergmorde).


Der Stein der Begegnung markiert als 12. Erinnerungsstein die Grenze des Jerusalem Friedensmals. Er steht als „…ein Ruf voller Liebe nach Freiheit für den Menschen." Wir sehen die Vergangenheit an, wir erinnern uns daran, wer wir wirklich sind und begegnen der Gegenwart. Leben geschieht in der Gegenwart: Wo erleben wir heute Krieg und Unfreiheit statt Frieden und Freiheit im eigenen Leben? Wo können wir Verantwortung für eine schönere Welt übernehmen? Wo fängt unsere Verantwortung an? Eine Schieferschwelle unter dem Stein verweist mit der Inschrift „Wo sich Staub zu Licht wandelt“ auf das Friedensmal rechts daneben, das den Gang ins eigene Innere zeigt. Es bezeichnet einen inneren Frieden, den man in sich finden kann, den man nach außen in die Welt tragen wird.


„Ihr Zuschauenden, die ihr keine Mörderhand erhobt, aber die ihr den Staub nicht von eurer Sehnsucht schütteltet, die ihr stehenbliebt, dort, wo er zu Licht verwandelt wird” (Nelly Sachs).





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