Texte über Viktor Frankl von Gunter v. Stritzky für das Kulturnetzwerk GG&G

Diese Texte wurden im Juli 2022 während der "Corona-Zeit" geschrieben und sollten den Menschen, die für ihre Freiheit, ihre Rechte und die freie Meinungsäußerung - mit Liebe im Herzen und mit Friedensgebeten auf den Lippen - gegen staatlichen Druck und Willkür aufstanden, Halt und Ermutigung geben. Menschen wie diese wurden in Deutschland in dieser Zeit wegen ihrer vom Mainstream abweichenden Meinung mitunter sogar als rechts, Nazis und Antisemiten diffamiert, ohne dass es eine haltbare Grundlage für diese pauschalen Vorwürfe gab. Das hätte nicht sein dürfen.

Aus der deutschen Vergangenheit war hier gerade nicht "etwas gelernt worden", sondern diese Vergangenheit wurde damit sogar von Medien und Politik als Waffe genutzt, um gegen politische Gegner vorzugehen und sie ins Abseits zu stellen. Wenn aber die Begriffe „Nazi“, „rechts“ und „Antisemit“ gegen echte oder vermeintliche Gegner inflationär genutzt werden, statt Sachargumente anzubringen, wird darüber leicht vergessen, wie schlimm die echten Nazis wirklich waren und was das für ihre Opfer bedeutete. Auch das ist letztlich eine Form der Relativierung der Verbrechen, die in der Vergangenheit im Namen Deutschlands begangen wurden.

Ein gemeinsames Anschauen und aufeinander Zugehen für eine Aufarbeitung dieser Vorgänge, um darin auch die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, wäre wünschenswert. (Vorwort von Thomas Zieringer)




Teil 1

Ihr Lieben,
in den beiden letzten Montagsmails ging es um das, was Menschen aushalten müssen, wenn sie sich nicht der vorherrschenden Meinung anschließen: Ausgrenzung, Verunglimpfung, Beschimpfungen, Benachteiligungen, Bedrohungen, und zum Teil noch viel mehr. Bei dem "viel mehr" denke ich an Michael Ballweg. Er ist die in Deutschland aktuelle Person, an der man versucht, ein Exempel zu statuieren, das andere davon abhält, sich wie er zu engagieren. Was hat er getan?
Ich weiß nichts über seinen Umgang mit Spendengeldern. Da es inzwischen viele vergleichbare Fälle gibt, vermute ich aber, dass es nicht wirklich ums Geld geht. Was ich weiß, ist, dass er derjenige war, der es im April 2020 geschafft hat, gerichtlich zu klären, dass ihm das Recht auf Versammlungen nicht genommen werden darf. Ohne diese Geschichte hätte es möglicherweise keine der inzwischen unzähligen Kundgebungen und Versammlungen gegeben, auf denen sich Menschen artikulieren und zeigen, die gewichtige Zweifel an den Darstellungen und Handlungen der politisch Verantwortlichen haben. An dieser Stelle hat er eine ganz zentrale Rolle.

So wie Stefan Hockertz, der aufgrund seiner Fachkenntnisse, sehr fundiert, nicht nur die Gefahren durch gentechnisch verändernde Medikamente vorhergesagt hat, und jetzt im Ausland lebt, weil man ihm hier alles beschlagnahmte. Oder Bodo Schiffmann, der bereits im März 2020 damit begonnen hat, als einer der renommiertesten Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, die Erzählungen rund um Corona in Frage zu stellen, der jetzt in Afrika lebt, weil er sich und seine Familie in Sicherheit bringen musste, nachdem man ihm nicht nur seine Praxisräume kündigte. Oder viele namhafte und ganz unbekannte Kollegen von ihm, denen man immer wieder mit Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmung von Patientenakten und Arbeitsmaterialien das Leben und die Behandlung ihrer Patienten so qualvoll wie staatlicherseits möglich macht.

Ich könnte diese Darstellung und Aufzählung beliebig fortsetzen, aber damit gerate ich wieder in das, worum es hier nicht gehen soll: die Anklage, die Empörung und die Angst. Wir sind eigentlich dabei, an einem anderen Umgang mit der momentanen Situation zu forschen. Dabei probieren wir neue und ungewohnte Formen der Begegnung, des Miteinanders und des Füreinanders aus. Wir alle erleben zum ersten Mal eine derartige Bedrohung und die damit verbundenen Ängste und Sorgen. Und wir alle müssen Neues lernen, Ungewohntes üben und über so manchen inneren Schatten springen, um tatsächlich etwas Neues und Liebevolles zu leben, statt doch wieder in die alten Muster zu verfallen, die dann letztlich auch dort hinführen, wo unsere Gesellschaft im Großen und Ganzen gelandet ist: in der Unmenschlichkeit, teilweise bereits in der Barbarei.

Das Potential, dass in den montäglichen Begegnungen vor dem Rathaus steckt, ist, zum Vorbild zu werden für andere. Indem wir uns nicht beirren lassen, nicht spalten lassen, uns selbst treu bleiben, Unannehmlichkeiten bis hin zu Schikanen auf uns nehmen, einstecken ohne auszuteilen, und einen Sinn darin erkennen, nicht auf dem Sofa abzuwarten, was als nächstes kommt, sondern gegen jede noch so große Aussichtslosigkeit ins Handeln zu gehen, statt in die Ohnmacht.

Und damit bin ich endlich dort angekommen, wo ich hin wollte: bei Viktor Frankl. Über ihn wollte ich schon vor einer Woche schreiben, dann heute, aber er wird noch ein wenig warten müssen. Und ihr auch. Denn dieser Text ist jetzt schon so lang geworden, dass ich ihn beenden, um ihn zum nächsten Montag fortzusetzen. Im Film bezeichnet man so was als Cliffhanger. Alle Fortsetzungs-Geschichten arbeiten damit. Und machen dadurch teilweise süchtig. Was ich definitiv nicht beabsichtige.

Also: Bis Montag-Abend vor dem Rathaus, oder wo und wann auch immer ihr an einer neuen und besseren Welt bastelt.

Mit herzlichen Grüßen
Gunter


Teil 2

Ihr Lieben,
heute versuche ich, endlich etwas über Viktor Frankl zu schreiben. Er ist mir in Form seines bekanntesten Buches vor etwa 10 Jahren begegnet. Das Buch heißt "...trotzdem Ja zum Leben sagen" und ist sein Bericht aus den Konzentrationslagern, in die man ihn im Dritten Reich verschleppte. Diesen Bericht diktierte er im Herbst 1945 innerhalb von 8 oder 9 Tagen. Im deutschsprachigen Raum ist sein Werk, sein Gesamtwerk von fast 30 Büchern, relativ unbekannt. Ganz anders in Amerika. Da erreichte dieses oben genannte Buch eine Auflage von 9 Millionen und wird von der Kongressbibliothek in Washington als eines der 10 einflussreichsten Bücher bezeichnet.

Viktor Frankl, geboren 1905 in Wien, ist jüdischer Abstammung, studierte Medizin und arbeitete hauptsächlich als Neurologe. Bereits im Studium organisierte er Hilfsmöglichkeiten für Schüler, deren Selbstmordrate jedes Jahr nach der Zeugnisvergabe in die Höhe ging. Mit seiner Idee konnte das gestoppt werden. Nachdem die Deutschen auch in Österreich das Sagen hatten, wurde er mehr und mehr in seiner Arbeit als Nervenarzt behindert. Schließlich wurde er zusammen mit seiner Frau und seinen Eltern 1941 nach Theresienstadt verschleppt. Das Angebot, nach Amerika auszuwandern, hatte er ausgeschlagen, weil seine Eltern nicht hätten mitgehen dürfen.

In Theresienstadt verhungerte sein Vater und in Auschwitz wurde er von seiner Frau getrennt. Durch "1000 Gotteswunder" (so nennt er es) hat er überlebt - als einziger. Eine wesentliche Überlebenshilfe waren ihm zwei Vorstellungen: Die Wiederbegegnung mit seiner Frau und die Idee, einen Vortrag an der Volkshochschule in Wien zu halten, in dem er seine Erlebnisse und Erkenntnisse schildert. Die Nachricht, die ihn nach seiner Befreiung erreichte, dass seine Frau das KZ nicht überlebt hat, brachte ihn an den Rand des Selbstmords. Den Vortrag hat er 1946 tatsächlich, über drei Abende verteilt, gehalten.

Warum schreibe ich das alles?

Vor kurzem wurde ein Text verbreitet, der all den Menschen dankt, die sich in den letzten zwei Jahren nicht haben beirren lassen. Ihnen wurde Anerkennung zuteil dafür, dass sie all die Schmach und Ausgrenzung auf sich genommen haben, um sich selbst treu zu bleiben. In dem Text wurde außerdem ausgedrückt, dass sie dadurch etwas Wichtiges geleistet haben, im Grunde für die, die sie verhöhnt und beschimpft haben.

Viktor Frankl hat die Logotherapie begründet (nicht zu verwechseln mit der Logopädie). Es ist die Therapierichtung, die versucht, den Menschen dazu zu verhelfen, eine Sinn im Leben zu finden (nicht den Sinn des Lebens). Viktor Frankl geht davon aus, dass der gesunde Mensch immer nach einem Sinn strebt, nach etwas Sinnvollem. Das Gefühl des Glücks sieht er als Folge sinnvollen Lebens. Dass Sigmund Freud so viel Wert auf die Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse gelegt hat und Alfred Adler den Minderwert und das daraus folgenden Streben zur Macht als wesentlich ansah, war für Frankl die Folge der Beobachtung von bereits deformierten Menschen. Der Gesunde aber sucht Sinn.

Dafür gibt es nach Frankl drei große Bereiche. Das erste ist die Erschaffung kreativer Werte. Wenn wir etwa bauen oder gestalten, jemandem helfen oder der Gemeinschaft dienen, kann das als sinnvoll erlebt werden. Das zweite ist der Genuss oder Konsum kreativer Werte, also zum Beispiel der Besuch einer Kunst-Ausstellung, eines Konzerts oder Theaterstücks. Auch darin können wir Sinn erleben. Der dritte Bereich, in dem wir für ihn die größte Sinnhaftigkeit erleben können, ist, wenn wir das Leid oder Schicksal auf eine Weise durchleben, die zum Vorbild für andere wird.

Ich habe das oft unterrichtet und jedes mal das Beispiel einer tödlichen oder chronischen Krankheit vor Augen gehabt. Also die Phase des Lebens, in der es in Richtung Tod geht. In den letzten beiden Jahren sah ich dann die Großen, die im Dritten Reich zum Beispiel Widerstand geleistet haben: Dietrich Bonhoeffer oder eben auch Viktor Frankl, der weder im KZ noch nach dem Tod seiner Frau aufgegeben hat, sondern noch 50 Jahre lang für echte Versöhnung und gegen die weit verbreitete Idee der Kontaktschuld gesprochen hat. Also gegen die Idee, dass sich alle Deutschen dafür schämen müssen, dass ihre Vorfahren Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben.

Für ihn gibt es nur zwei Sorten von Menschen: die Anständigen und die Unanständigen. Die Unanständigen sind immer in der Mehrzahl, sagt er. Und gefährlich wird es nur dann, wenn dieser Teil der Menschheit gefördert wird. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es eine ganze Zeitlang kein Futter für diese Menschen.

Aber zurück zum Sinn im Durchleben eines schweren Schicksals oder eines Leids. Das geschieht gerade, ganz besonders für die Anständigen. Und damit bin ich wieder am Anfang. Es ist möglich, das, was wir gerade erleben, so zu leben, dass es zum Vorbild für andere wird. Und das ermöglicht es allen, denen das gelingt, einen Sinn im Leben zu erkennen und infolge dessen Glück zu erleben.

Vielleicht hat es noch nie eine Zeit gegeben, in der so viele Menschen gleichzeitig die Gelegenheit haben, eine schwere Zeit miteinander und mit gegenseitiger Unterstützung zu durchleben, die unbequem, unausweichlich und mit unbekanntem Ausgang von ihnen fordert, anständig zu bleiben.

Das ist zumindest das, was ich erlebe, mit euch zusammen erlebe. Zum Beispiel an jedem Montagabend, aber auch bei all den anderen Begegnungen, die wir uns gegenseitig ermöglichen. Ich freue mich schon wieder auf das nächste Mal.

Mit Viktor Frankl bin ich noch nicht fertig, aber für heute ist es genug.

Mit herzlichen Grüßen
Gunter


Teil 3

Ihr Lieben!
Mit Viktor Frankl war ich vor einer Woche noch nicht fertig.

Es gibt zwei wesentliche Aussagen, die mir oft als Orientierung dienen. Die erste ist:

Wir sind in jedem Moment frei, uns so oder so zu entscheiden. Als Beispiel hat er mal ergänzt: Wir können uns also dazu entscheiden, Gaskammern zu bauen ... oder erhobenen Hauptes und mit einem Gebet auf den Lippen in sie hinein zu gehen.

Mit jeder dieser uns freistehenden Entscheidungen retten wir eins von beidem in die Vergangenheit, also in den von uns erschaffenen Schatz, der bleibt, der stattgefunden hat, der sich vielleicht irgendwie auswirkt und etwas hinterlässt. Die nicht gewählte Möglichkeit geht dagegen für immer verloren.

Das gibt unseren Entscheidungen, und damit unserem Handeln und Leben, einen Sinn, Und wir spüren, wenn uns das bewusst wird, welche Verantwortung wir tragen oder haben. Genau genommen in jedem Moment, aber natürlich in ganz besonderer Weise an wesentlichen Abzweigungen, vor die uns das Leben stellt. Die sind nicht so oft und ständig da, aber sie begegnen uns immer wieder.

Die, die am Montag zum Rathaus gehen, retten eine Stunde mit anderen zusammen, in Form einer gemeinsamen Zeit und eines kleinen Umzugs durch die Gemeinde, in die Vergangenheit, also in den Bereich des Lebens, der stattfindet und erinnert werden kann, wahrgenommen wird und vielleicht eine Wirkung entfaltet. Tun wir das nicht, geht diese Möglichkeit für immer verloren. Zumindest diese eine Möglichkeit, zusammenzukommen, gemeinsam Zeit zu verbringen und sichtbar für andere zu werden, weil eine Gruppe, die durch den Ort läuft, auffällt.

Die zweite Aussage schließt sich hier an. Sie lautet sinngemäß:

Es geht nicht darum, was wir vom Leben zu erwarten haben, sondern darum, was das Leben von uns erwartet.

Für viele stellt das ihre grundsätzliche Haltung dem Leben, dem Schicksal oder auch ihrem Gott gegenüber auf den Kopf. Ich kann trotzdem nur empfehlen, sich mit dieser Idee mal zu beschäftigen. Und ich denke, dass die meisten, die das hier lesen, schon deutlich in dieser Richtung unterwegs sind oder in diese Richtung tendieren.

So auf Leben und Schicksal, aber auch auf andere Menschen zu schauen, führt zu einem neuen Gefühl von Verantwortlichkeit für das eigene Handeln. Und führt raus aus der Ohnmacht, aus der Hilflosigkeit und aus dem Ausgeliefertsein.

Um auch hier die Kurve in Richtung Montagsspaziergang zu kriegen: So auf Leben und Schicksal zu schauen, wenn wir entrechtet, entwürdigt und gedemütigt werden, führt weg vom Sofa, nämlich zum Beispiel auf die Straße ... hin zum Rathaus ... am Montagabend zumindest.

Ich freue mich auf euch, egal wo und wann. Und schöne Grüße an alle alleingelassenen Sofas: Selbst allein gelassen seid Ihr seid nicht allein!! Denn es gibt ganz viele von euch, die dieses Schicksal an jedem Montagabend miteinander teilen.

Mit herzlichen Grüßen
Gunter


Teil 4

Ihr Lieben,

in zwei Mails habe ich euch ein paar Gedanken und Ideen von Viktor Frankl beschrieben. Ich möchte diese kleine Serie mit einem Zitat von ihm abschließen.

Ich hatte berichtet, dass es ihm eine große Hilfe war, um die Zeit im KZ seelisch und geistig einigermaßen gesund zu überstehen, sich die Wiederbegegnung mit seiner Frau vorzustellen und einen Vortrag vor einem Publikum, dem er von seinen Erlebnissen berichten kann. Seine Frau starb im KZ. Dieser Verlust brachte ihn, der sich bereits als Student dafür engagierte, dass die Selbstmordraten nach der Zeugnisvergabe in Wien deutlich reduziert wurden, an den Rand des Selbstmordes. Doch schließlich fand er einen Weg zurück ins Leben und sorgte unermüdlich dafür, dass sich seine Ideen zu einem Sinn im Leben immer weiter verbreiteten. Unterstützt wurde er dabei von seiner zweiten Frau, der er am ersten Jahrestag seiner Befreiung begegnete. Beide hatte dann 50 gemeinsame Jahr - und eine Tochter bekamen sie auch noch.

Zu dem Vortrag kam es tatsächlich. Genauer gesagt war es eine Reihe von drei Vorträgen, die er im April 1946, etwas ein Jahr nach seiner Befreiung, an der Volkshochschule in Wien mit dem Titel "Vom Sinn und Wert des Lebens" gehalten hat. Am Ende des drittem Abends sagte er:

Es ist etwas Furchtbares um die Verantwortung des Menschen - und zugleich etwas Herrliches! Furchtbar ist es, zu wissen, dass ich jeden Augenblick Verantwortung trage für den nächsten; dass jede Entscheidung, die kleinste wie die größte, eine Entscheidung ist „für alle Ewigkeit”.

Doch herrlich ist es: zu wissen, dass die Zukunft, meine eigene Zukunft und mit ihr die Zukunft der Dinge, der Menschen um mich, irgendwie - wenn auch in noch so geringem Maße - abhängig ist von meiner Entscheidung in jedem Augenblick. Was ich durch sie verwirkliche, „in die Welt schaffe”, das rette ich in die Wirklichkeit hinein und bewahre es so vor der Vergänglichkeit.

Es ist schwierig, nicht nur die Verantwortlichkeit zu erkennen, sondern auch zu ihr sich zu bekennen. Ja zu sagen zu ihr und zum Leben. Aber es hat Menschen gegeben, die allen Schwierigkeiten zum Trotz dieses Ja gesagt haben. Und wenn die Häftlinge vom Konzentrationslager Buchenwald in ihrem Lied gesungen haben: „Wir wollen trotzdem ja zum Leben sagen”, dann haben sie es nicht nur gesungen, sondern viel­fach auch geleistet. Und sie haben es geleistet unter unsäglichen Bedingun­gen. Da sollten wir alle es heute, unter verhältnismäßig doch unvergleichlich milderen Um­ständen, nicht leisten können? Zum Leben ja zu sagen ist also nicht nur unter allen Umständen sinnvoll - das Leben ist es nämlich selbst -, sondern auch unter allen Umständen möglich.

Und das war schließlich auch der ganze letzte Sinn dieser Vorträge: Ihnen zu zeigen, dass der Mensch trotzdem - und trotz allem: trotz Not und Tod, trotz Leiden an körperlicher und seelischer Krankheit oder unter dem Schicksal des KZ - Ja sagen kann zum Leben!

Hier wird deutlich, dass ich in meiner letzten Mail etwas falsch ausgedrückt habe. Indem wir uns entscheiden, hatte ich geschrieben, retten wir etwas in die Vergangenheit, in unsere Erinnerung. Diese Aussage führte teilweise zu Verwirrung. Hier seht ihr nun, dass er davon spricht, es in die Wirklichkeit zu retten und so vor der Vergänglichkeit zu bewahren. Das trifft es besser.

Und noch etwas entnehme ich diesem Zitat: Dass wir es heute, in unserer ganz aktuellen Situation hier, doch tatsächlich noch wesentlich besser haben, als er damals, als er und all die anderen, die sein Schicksal teilten. Auch wenn unsere Aussichten heute teilweise sehr düster sind: Bis jetzt sind es nur Aussichten, noch keine Realität. Das sollten wir nicht vergessen und deshalb trotzdem Ja zu Leben sagen. Was soviel heißt wie, tatsächlich leben.

Ich freue mich auf die, denen ich am Montagabend begegne. Das ist ein Teil meines tatsächlichen Lebens geworden, ein Stück gelebtes Leben: Die Vorfreude, das Wiedersehen, die Begegnung, die Umarmungen, das Lachen, die Gespräche, die gemeinsame Zeit, der Abschlusskreis und das Auseinandergehen mit dem Wissen um das Gemeinsame und die Wiederbegegnung.

Das gilt für alle und überall, denn über dieses gemeinsame Ritual sind wir miteinander verbunden und wirklich viele. Lasst uns das nicht vergessen.

Mit herzlichen Grüßen
Gunter


Teil 5

Ihr Lieben,
eigentlich war ich fertig mit Viktor Frankl, aber ich bekam einen Hinweis, den ich unbedingt weitergeben möchte. Vom 1. bis 10 August gibt es einen kostenlosen Online-Kongreß zum Thema Viktor Frankl. Alles dazu findet ihr am Ende dieser Mail. Heute ist der 1. August. In unseren Kreisen ist das ein denkwürdiger Tag. Viele waren in Berlin, vor 2 Jahren und/oder vor einem Jahr. Es waren die wahrscheinlich größten Veranstaltungen, mit denen man versuchte, auf die Wahrheit aufmerksam zu machen. Auch in diesem Jahr sind wieder viele dort, teilweise für eine ganzen Woche. Es gibt immer noch gute Gründe, diese Versammlungen zu organisieren und durchzuführen. "Immer noch" ist nicht ganz richtig. Es müsste heißen "immer mehr", denn die Auswirkungen der Maßnahmen der letzten zwei Jahre werden täglich tragischer, wenn man den Blick nicht abwendet. Für Menschen mit Herz und Verstand ist das nur schwer auszuhalten. Immer wieder verzagen welche, wissen nicht mehr, wohin mit ihrer Verzweiflung. So gesehen ist die momentane "Pause" ein Segen, Zeit zum Verschnaufen und - im wahrsten Sinne - Luftholen. Bitte nutzt diese Tage und Wochen, um euch Gutes zu tun. Auch am Montagabend. Für die aber, denen es gut tut, gerade am Montagabend zu einem Ort der Begegnung zu kommen, treffen wir uns wieder vor dem Rathaus oder an anderen zentralen Orten, um uns zu sehen, zu sprechen, zu fühlen und zu stärken. Ich freue mich darauf. Und diesmal gehe ich mit der neuen Erkenntnis, die ich einem Artikel aus der letzten Woche verdanke: Der wirkliche Verfassungsschutz, das sind wir. Die, die sich bislang so nannten, delegitimieren gerade unseren Staat. Dass ich das nicht früher gemerkt habe, wundert mich. Denn eigentlich ist es ja seit zwei Jahren ganz einfach. Fast alles ist genau das Gegenteil von dem, was uns gesagt wird. Also Kolleginnen und Kollegen: Tun wir unseren Job und schützen, was ein hohes Gut ist. Es fängt mit der Würde an und hört mit der Pflicht zum Widerstand noch lang nicht auf.
Mit herzlichen Grüßen
Gunter





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