Kapitel: Archiv / Das Buch (1999) / Einleitung
Vorwort aus dem Jahr 2023
Liebe Leserinnen und Leser,
es ist nun September im Jahr 2023, also 22 Jahre nach der Entstehung der folgenden Texte. Bevor Sie sich dem Archivmaterial dieses Projekts widmen, möchte ich einige Gedanken mit Ihnen teilen. Der folgende Text ist ein Produkt seiner Zeit und sowohl ich als auch das Projekt haben sich seitdem erheblich weiterentwickelt. In den vielen Jahren seit den Anfängen habe ich an diesem Thema intensiv weitergearbeitet. Ich lasse die ursprüngliche Version bewusst unverändert, um die Entwicklung transparent zu machen. Dies ist so glaube ich eine ehrliche und respektvolle Art, mit dem Archivmaterial umzugehen und gleichzeitig die Reise mit diesem Thema und die große Entwicklung dieses Projekts zu würdigen. Ich will damit auch ermutigen und zeigen, wie weit Entwicklungen gehen können, wenn man an einem Thema bleibt und nicht aufgibt; auch wenn man vielleicht noch nicht alle Sensibilitäten wirklich verstanden hat. Man lernt am Tun und an der intensiven Beschäftigung mit dem Thema.
Die Idee, diese Reflexion dem Archivmaterial voranzustellen, halte ich für wichtig. Das ermöglicht es Ihnen, den Text im Kontext seiner Entstehungszeit und der darauf folgenden Entwicklung zu sehen. Es soll auch meine Offenheit für Kritik und Weiterentwicklung zeigen, was dem Projekt zusätzliche Glaubwürdigkeit verleihen sollte.
Authentizität und die Darstellung der Entwicklung eines Projekts sind wertvolle Aspekte, die oft unterschätzt werden. Deshalb will ich im Nachhinein nichts verändern. Sie zeigen den Weg, den ich gegangen bin, und geben dem Ergebnis, dem Friedensmal, eine zusätzliche Würde. Es ist ein Zeugnis meiner Reise, meines Lernens und der Verfeinerung des Projektes.
Der Holocaust ist ein sehr sensibles und komplexes Thema. Mein Ansatz, es auf eine persönliche Ebene zu bringen, könnte bei einigen als Vereinfachung eines sehr komplexen und schmerzhaften Themas wahrgenommen werden. Doch nur innen, auf persönlicher Ebene können wir Dinge wirklich verstehen. Wenn es im Außen ist, bleibt immer eine Distanz.
Ich spreche von einer "normalen, leisen, unaufdringlichen Schuld des Wegschauens". Dies könnte missverstanden werden, als würde ich die Schuld minimieren oder relativieren. Das ist nicht meine Absicht. Es geht darum, dass diese Form der Schuld nicht laut ist, also nicht so sehr auffällt, aber dennoch eine Schuld ist.
Zur künstlerischen Darstellung: Das Friedensmal ist meiner Meinung nach eine angemessene Darstellung dieses komplexen Themas. Es geht nicht darum, den Schmerz in seiner ganzen Intensität darzustellen, sondern ein Zeichen für das Leben zu setzen. Denn aus dem Schmerz zu lernen bedeutet, das Leben wirklich wertzuschätzen.
Ich schrieb: "Ein Mahnmal sollte für die Menschen und nicht gegen sie gebaut werden". Das ist ein ehrenwertes Ziel, aber es könnte die Frage aufwerfen, ob ein Mahnmal nicht auch konfrontativ sein sollte. Ich glaube aber immer noch, dass es zu weit geht, wenn es in einem Land ausschließlich konfrontative Mahnmale gibt. Ich spreche in Wirklichkeit auch von mehr als einem "ehrenwerten Ziel", sondern von einer Notwendigkeit, um die Menschen überhaupt noch zu erreichen. Es braucht auch Leben und Hoffnung; sogar im Land der Täter.
Ich erwähne, dass die Diskussion um ein monumentales Holocaust-Mahnmal den Antisemitismus in Deutschland erhöhen könnte. Das ist eine heikle Aussage, die gut begründet sein sollte. Sie hat mit der Ausschließlichkeit zu tun, dass es damals nur konfrontative Mahnmale gab, aber kein Denkmal wie das Friedensmal, das davon "spricht", was eigentlich aus der dunklen Vergangenheit zu lernen wäre.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche eine aufschlussreiche Lektüre über die Anfänge dieses Projektes.
Herzlichst,
Thomas Zieringer
Das Buch aus dem Jahr 1999 ist die Grundlage des Projektes und der Internet-Gestaltung. Die Darstellungen und die Schilderung dessen, was ich selber als Autor in der Politik erlebte, sollen auf möglichst authentische Weise die Philosophie, die Probleme, die Hintergründe und die Aussichten des Projektes verdeutlichen. Das Projekt hat sich in der Zeit seit der Veröffentlichung wesentlich weiterentwickelt. Den aktuellen Stand finden Sie hier: https://friedensmal.de
Jahn & Ernst Verlag, Hamburg, ISBN: 3-89407-253-9
"Vielen Dank für ihren Brief vom 25. Mai 1999. Ich habe Ihr Buch nicht nur gelesen, sondern es auch meinen Freunden zur Lektüre überlassen." Mit freundlichen Grüßen, Ihr Norbert Blüm (Arbeitsminister a. D., Mitglied des Deutschen Bundestages)
Im Jahr 1999 erschien mein Buch „Wendepunkt - die Vision einer neuen Menschlichkeit”. Darin fand die Begriffsbildung statt: Wenn das Mahnmal die Auseinandersetzung mit Verletzungen aus der Vergangenheit thematisiert, dann müsste der neue Begriff „
Friedensmal” die Integration im Prozess darstellen; also in die Konsequenz (Verantwortung) gehen und so auch heute für Heilung wirken. Es entstünde ein Gedenkkonzept, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet. Das Friedensmal würde also eine besondere Kategorie eines Friedensdenkmals begründen. Das Friedensmal - darin ist das Mahnmal integriert - ist kein statisches Denkmal, sondern ist immer mit dem Prozess verbunden, die Last in einen Segen zu wandeln. Das hieße Verantwortung wahrzunehmen und heute dem Leben zu dienen.Vorwort des Autors aus dem Jahr 1998
Anfang März im Jahre 1998 begann meine Arbeit an diesem Projekt, das auch einen neuen Zugang zum Umgang mit der Holocaust-Thematik in Deutschland zeigen sollte. Der Grund für mein plötzliches Engagement bei diesem Thema war sehr ungewöhnlich: eine Vision. Leider mußte ich erfahren, daß es sehr schwer ist, Beachtung bei Politikern und Medien zu finden, wenn man nicht als berühmt angesehen wird. Das Problem, mit dem ich dabei kämpfe, ist nicht der Wille dieser Menschen, Schlechtes zu tun, sondern die oftmals geäußerte Auffassung, keine Zeit für mein Anliegen zu haben. Es ist paradox, daß sich mein Projekt auch gerade mit diesem Problem beschäftigt. Das Projekt - das Mahnmal - soll ja gerade die Ursachen des Bösen begreiflich machen. Schlechtes kann sich nur entfalten, wenn es an Engagement fehlt, diesem Gutes entgegenzusetzen - wenn weggeschaut wird. Dies gilt nicht nur für die gesellschaftliche Ebene, sondern auch für die dunklen Seiten in uns selber, die sich oft hinter einer gar nicht so bedrohlichen Normalität verbergen.Dieses Bild hatte ich im Jahr 1996 gestaltet. Es beschreibt die Heilung als den Weg zur inneren Freiheit. Es drückt ein Sehnen nach Schönheit aus, die in der Natur, im Geist und Charakter sichtbar ist. Es zeigt Trauer, wie wenig von den Möglichkeiten des Menschen gelebt wird. Was ist der Grund für die inneren Zwänge? Wo liegen die Verletzungen? Wo ist der innere Schmerz? Heilung geschieht durch das Annehmen der Wahrheit. Ich träume von einer Welt der freien Menschen und dafür arbeite ich. Es ist der Weg aus der Dunkelheit zum Licht. Dies klingt nach einer Utopie, ist es aber gerade nicht, da jeder die Möglichkeit hat, dies für die eigene Seele zu verwirklichen. Dieses Projekt ist der Versuch, die Tragödie des Holocaust wieder auf eine (persönliche) Ebene zu bringen, auf welcher der Einzelne unmittelbar Verantwortung hat. Hier kann dem Bösen und einer unentrinnbaren Schuld (geplantes monumentales Mahnmal) Macht genommen werden. Hier ist Hoffnung, denn Veränderung und Heilung sind möglich und eine persönliche Herausforderung für jeden.
Moderne Kunst?
"Drei grundsätzliche Bedenken haben die verschiedenen künstlerischen Gestaltungen dieser Thematik begleitet:
1. Ob in seiner Darstellung nicht immer eine ästhetische Faszination mitschwingt, die trotz ihrer kritischen Intention den sinnlichen Genuß am Schrecklichen erlaubt.
2. Ob sich dieses historische Ereignis nicht prinzipiell künstlerischer Darstellung entzieht, weil es jede Bildvorstellung sprengt.
3. Ob das Unvergleichliche des Nationalsozialismus nicht in das gestalterische Dilemma führt, entweder seine Vernichtungsmaschinerie in geläufigen Bildformeln zu verharmlosen oder Banalität des Bösen in elitären Bildkonzepten zu verfehlen" - aus einem Aufsatz von Guido Boulboullé.
Als ich das Bild meiner Vision verschiedenen Leuten zeigte, war die Reaktion sehr ermutigend. Aber von Leuten aus den "kunstinteressierten" Kreisen kam auch der Vorwurf, die Gestaltung sei viel zu konventionell.
1. Ich glaube, man sollte im Auge behalten, daß es sich hier um ein Denkmal handelt und nicht um einen Beweis größter Phantasie, die dem Zeitgeist hinterher läuft. Hier gibt es keinen sinnlichen Genuß des Schrecklichen. Das Grauen erscheint nüchtern und ist vielleicht gerade deshalb so intensiv und gut zu begreifen. Es packt nicht, sondern läßt sich packen. Das Schöne in dem Denkmal bringt die Liebe und Hoffnung zum Ausdruck, für die dieser Ansatz steht und wodurch er sich von so vielen anderen Gestaltungen unterscheidet.
2. Dieser Ansatz konzentriert sich nicht darauf, das Grauen des Holocaust in direkter Weise mit künstlerischen Mitteln zum Ausdruck bringen zu wollen. Dieser Versuch wäre meiner Meinung nach überheblich. Ich glaube, daß KZ-Gedenkstätten dabei in ihrer Wirkung jeder künstlerischen Gestaltung überlegen sind. Und ich glaube, daß es an sich unmöglich ist, in einem Mahnmal in unmittelbarer Weise ein begreifbares Bild des Horrors zu vermitteln, der für die Ermordung von 6 Millionen Menschen steht.
Mein Ansatz ist völlig anderer Natur. Die Gestaltung unterstreicht den Wert des Lebens, statt zu versuchen das Grauen des Holocaust in direkter Weise auszudrücken. Sie erlaubt es, in unsere eigene Seele zu schauen, und es wird klar, daß es so durchaus möglich ist, die persönlichen Entscheidungen der am Holocaust beteiligten Menschen nachzuvollziehen. So wird ein Beiseiteschieben schwieriger, und wir beginnen, den Holocaust auf einer persönlichen Ebene zu begreifen.
Die Sicht auf den Wert des Lebens ermöglicht Gedenken, Lernen und Hoffnung, und so braucht man sich dann auch nicht mehr angestrengt um eine angemessene Häßlichkeit zu bemühen. Für wen baut man denn dieses Mahnmal? Erreicht eine solche Gestaltung nicht viel eher die Leute und ist auch dem Thema angemessener? Es geht doch darum, den Menschen viel mehr anzubieten als nur ein schlechtes Gefühl. Die Ortsnamen auf den Erinnerungssteinen, eine überschaubare Größe des Denkmals und seine Stille tragen zu einem besseren Verständnis bei und sind auch ein Ausdruck des hier verfolgten Weges, die Menschen frei und in Frieden zu empfangen, statt sie abzuschrecken oder zu erdrücken.
3. In der Gestaltung fällt die Schlichtheit und die Dichte im Ring auf. Sie muß schlicht sein, um nicht von den Listen der Konzentrationslager abzulenken, die nicht nur das Ausmaß des Holocaust verdeutlichen, die Größe der Vernichtungsmaschinerie zeigend, sondern auch einen Bezug zur stillen Normalität der Täter herstellen, die zum Beispiel an einem Schreibtisch saßen und Listen schrieben. Schnell wäre diese fühlbare Qualität dahin, wenn man hier nicht sehr vorsichtig gestalten würde.
Das Mahnmal soll über das "Kunstwerk" hinaus, ein Zeichen sein. Es ist gerade falsch, hier mit dem Zeitgeist zu gehen. Es soll noch lange Zeit verstanden werden und angemessen sein. Es geht um Klarheit und eine Botschaft, die angenommen werden kann, weil sie wahr und gut ist und weil sie den Menschen nicht in die Enge treibt, sondern trotz ihrer schockierenden Wirkung auch das Versprechen einer wunderbaren Freiheit zeigt. Es darf nicht darum gehen, wer die "lauteste" Idee umsetzt.
Anmerkung: Die Listen der Konzentrationslager werden in der späteren Verwirklichung des Projektes in Bensheim entfallen, da es in Bensheim im Gegensatz zur Stadt Berlin nicht passen würde und sich das Projekt auch nicht als Holocaust-Mahnmal verwirklichen sollte, sondern als Friedensmal.
Eine Botschaft
Die Rede, © T. Zieringer (das Bild zeigt meinen Großvater in der Nachkriegszeit)
Es geht nicht um das monumentale kollektive Bekenntnis einer Schuld, die so unfaßbar bleiben muß. Dies könnte Heuchelei sein und dazu führen, daß eine wirkliche Veränderung verhindert wird. Der neue Zugang soll erreichen, daß Wahres angenommen werden kann und außerdem spricht er den Menschen auf einer persönlichen Ebene an und macht so klar, daß es auf den Einzelnen ankommt - heute. Hier gibt es Freiheit, Verleugnung, Schuld, Veränderung, Wachstum, Vergebung und Hoffnung. Das Nachdenken über den Holocaust muß auf eine persönliche Ebene gebracht werden, denn hier entstehen die Probleme und hier hat jeder die Möglichkeit etwas zu ändern. Dankbar bin ich für jede Unterstützung des Projektes "Wendepunkt - Die Vision einer neuen Menschlichkeit".
Laßt uns diesen Millionen von Menschen, die von einer Ideologie hingemordet wurden, in der Freiheit keinen Platz hatte, laßt uns ihnen eine letzte Ehre erweisen. Laßt uns offen sein für eine Bedeutung, die heute einen Unterschied macht. Ein "Mahnmal der Versöhnung" soll zu einem Symbol werden für Freiheit, Heilung und Veränderung - für alle Menschen.
In Deutschland eine Veränderung bei dieser Frage zu bewirken, ist sehr schwierig. Das Thema ist vielen zu sensibel. Viel lieber möchte man wegschauen. Und meine Gestaltung handelt gerade von der normalen, leisen, unaufdringlichen Schuld des Wegschauens, die auch den Holocaust erst ermöglichte - dies gilt besonders für die persönliche Ebene. Selbst die Täter waren nicht selten überraschend normale Menschen, die zu oft bei ihren dunklen Seiten weggeschaut hatten - verletzte Menschen und deswegen sehr normal. Die schlimmsten Täter haben "nur" Befehle gegeben und ihre Angestellten haben "nur" Wörter und Listen mit Namen geschrieben.
Das Buch "Wendepunkt" habe ich geschrieben, um meine Ideen bekannt zu machen. Ich hoffe genügend Unterstützung zu finden, damit ein nationales Mahnmal der Versöhnung gebaut werden kann. In der Tageszeitung "Die Welt" war am 20. 11. 1999 zu lesen, daß auch auf Grund der "Diskussion" um ein geplantes monumentales Holocaust-Mahnmal in Berlin, der Antisemitismus in Deutschland zunehme. Ein Mahnmal sollten wir für die Menschen bauen, nicht gegen sie; und wir sollten nicht meinen, es hauptsächlich für die Weltöffentlichkeit bauen zu müssen.
Dies wäre der ehrliche Weg, und mein ganzes Bemühen ist es, das Projekt "Wendepunkt" mit einer solchen Ehrlichkeit Wirklichkeit werden zu lassen.
Anmerkung: Die Idee vom Friedesmal als "nationalem Mahnmal der Versöhnung" entwickelte sich dann innerhalb von 2 Jahren zur einfachen Idee vom Friedensmal und dann nochmals 13 Jahre später zum Jerusalem Friedensmal in der südhessichen Stadt Bensheim und im 26. Jahr wieder zurück zum universelleren 'Friedensmal', allerdings auf einer höheren Ebene.
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