Kapitel: Das Buch (1999) / Der erste Entwurf
Vorwort aus dem Jahr 2023
Liebe Leserinnen und Leser,
der folgende Text ist ein historisches Dokument, das meinen ersten Entwurf für ein Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Holocausts darstellt. Er wurde in einer Zeit verfasst, in der die Mahnmal-Debatte in Deutschland auf ihrem Höhepunkt war. Dieser Entwurf ist nicht nur ein architektonisches Konzept, sondern auch eine tiefgreifende philosophische und psychologische Überlegung. Er lädt dazu ein, den Weg der Erinnerung als einen inneren Prozess zu verstehen, der zur Heilung und Versöhnung führen kann. Ich lade Sie ein, sich auf diese Reise zu begeben und die verschiedenen Ebenen dieses komplexen Themas zu erkunden.
Herzlichst,
Thomas Zieringer
Planung aus dem Jahr 1998
Mein erster Entwurf für ein Denkmal
"Ihr Entwurf eines Mahnmals für die Opfer des N.S. Massenmordes hat mir außerordentlich gefallen. Es stellt tatsächlich einen psychologisch / philosophischen Ansatz dar, der tief berührt. Als Einzelperson, die ohne Zustimmung des Präsidiums des Internationalen Auschwitz-Komitees keine Vereinsmeinung abgeben kann, halte ich die von Ihnen vorgeschlagene Lösung für besonders würdig. Vergleiche zu anderen Lösungen kann ich nicht anstellen, da ich die Diskussion in Deutschland nicht bzw. zu wenig kenne. Ich meine aber, daß die Auswahlkommision gut beraten wäre, sich mit Ihrem Konzept besonders nachdrücklich zu befassen."
Hofrat Mag. Kurt Hacker, Präsident des Int. Auschwitz-Komitees
Die Denkmalgestaltung entspricht einer Reise in unser eigenes Inneres, denn nur dort kann die Welt geheilt werden. Die Gestaltung ruft zur Selbsterkenntnis auf. Das bedeutet nicht, sich fortwährend um sich selbst zu drehen, wie das sogar in einer Psychotherapie passieren kann. Ist Selbsterkenntnis - ein sich Öffnen nach Innen - überhaupt ohne ein sich Öffnen nach außen möglich? In der sich nach außen öffnenden Mitte (sich gebend), die den Teufelskreis durchbricht, kommen die Menschen zusammen. Es ist ein Ort der Kommunikation und Berührung. Bilder werden ausgetauscht. Diese sich nach außen öffnende Mitte ist eine Wiese. Es ist ein Ort, an dem sich der Mensch anderen gegenüber und Gott gegenüber öffnet. Gott selbst verändert den Menschen, der sich ihm öffnet, von innen nach außen.
Kurze Beschreibung der einzelnen Symbole
Innerer Kreis: Eine Wiese, die das Leben in innerer Freiheit, Liebe und Hoffnung (Farbe Grün) symbolisiert, für das sich der Mensch in seiner gottgegebenen Freiheit immer wieder entscheiden kann. In der Mitte können wir Offenheit gegenüber Gott und dem Nächsten erfahren. Hier ist Liebe.Mittlerer Ring: Auf dunklem, braunem Lava-Kies ruhen die "Projektions-Steine", die Erinnerungssteine. Dieser Ring symbolisiert den Schmerz und die dunklen Schattenseiten der menschlichen Seele, die in ihrer verheerenden Übermacht zum Holocaust geführt haben.
Äußere Schwelle: Weißer Marmor symbolisiert die Friedensfindung. Einbeziehung der Vergangenheitsschmerzen. Anerkennung von Schuld und Sühne. Hoffnung zu den konstanten ethischen Lebenswerten. Versprechen der Vergebung. Schritt ins Einssein.
Der Platz: Die Strukturen auf dem Platz des Denkmals führen den Besucher um den Nukleus (Kern). Das bedeutet, sich von allen Seiten zu sehen, sich zu erkennen und dadurch zu seinem Herzen finden zu können. Dahinter verbirgt sich die Botschaft, daß dieses Land durch die Versöhnung zu seinem Herzen finden möge.
Die Ansicht von oben
on oben betrachtet, erinnert der erste Entwurf des Denkmals an ein Türschloß. Der Schlüssel zu diesem Schloß ist die Demut. Durch sie läßt sich die Pforte zum Weg in die Freiheit öffnen.Platz: 56 x 52 m, durch weiß-graue Riegel (1.30 m breit) in besonderer Ordnung unterbrochen. Außen sind 1.50 m vom Rand 20 Pyramiden-Eichen gesetzt. Der Nukleus liegt genau in der Mitte der von den Eichenreihen gebildeten U-Form.
Nukleus: Innerer Kreis: Rasen, Durchmesser 20 m
Mittlerer Kreis: Dunkler Lava-Kies, Durchmesser 30 m (außen)
Äußerer Kreis: weißer Marmor, Durchmesser 30.90 m mit 45 cm Breite
Radius: 1. Steinreihe: 10m 2. Steinreihe: 12m 3. Steinreihe: 14m
35 Steine (2.50 x 1.25 x 0.22), Farbe: Braun-ocker, oben gebrochen/uneben
25 Hecken (Bux), gestutzt zu 55 cm Höhe und 18 cm Breite
Der Gang ins eigene Innere
Das Denkmal ruft dazu auf, in sich selbst zu schauen, sich der inneren Erstarrungen und Verletzungen (Erinnerungssteine) bewußt zu werden und einen Weg der Heilung zu gehen, statt sie blind auf anderer Menschen zu übertragen. Die durch die Erinnerungssteine symbolisierten auch grausamen Erinnerungen bleiben nicht im abgeschlossenen Ring eingekerkert und verdrängt, sondern sie können dank ihrer freien, lockeren Anordnung umgangen und aus allen Perspektiven betrachtet werden. Somit verlieren sie die sonst für viele Menschen unerträglich erstarrte Bedrohung. So geht man durch den äußeren Ring, begreift den Schmerz, findet zu seiner Trauer und gelangt in der Mitte zu Ruhe und Besinnung, sensibilisiert dafür, welche Gefahren in der Anpassung, in der Verdrängung und in der Begrenzung auf einfache Sichtweisen liegen.Die Rasenfläche des inneren Kreises durchbricht den dunklen, mittleren Ring. So zeigt das Denkmal einen durchbrochenen Teufelskreis. Mit dem freien Zugang ins "Herz der Mitte" - auf das Hoffnung gebende und beruhigende grüne Rasenstück wird dem Besucher eine freiwillige Zuwendung leichter gemacht, und er findet eine Verbindung zum neuen und besseren Aufbruch und dadurch zur Schmerzbewältigung und Trauerarbeit. Der Rasen symbolisiert Leben, das mit Freiheit, Freude und Liebe verbunden ist. Diese Werte bedürfen eines andauernden Bemühens. Sie erfordern Demut und Vertrauen, welches die Menschen, die in ihrer "Mitte" sind, haben. Die Mitte kann ein Raum der Meditation und des Gebetes sein. Es wäre schön, hier zum Beispiel über Liebe, Dankbarkeit und Lobpreis zu meditieren - es drückt die Freude über das Geschenk des Lebens, und zu seinem Herzen finden zu können, aus.
Das Betreten des Rasens ist eine besondere Handlung. Es symbolisiert den Gang ins Innerste, und man läuft auf verletzbarem Leben. Die Besucher werden gebeten, ihre Schuhe auszuziehen, bevor sie in den inneren Kreis treten. Das läßt auch Schranken fallen: Fremde Leute werden sich mehr miteinander verbunden fühlen, und alle sind offener für neue Sichtweisen, weil sie bereits etwas getan haben, was nicht mehr der Norm entspricht, was anders ist. Außerdem ist es ein Zeichen der Achtsamkeit.
Das Mahnmal soll kein "heiliger" Ort sein, sondern ein Ort, der zeigt, daß das Leben uns heilig sein sollte. Hier geht es darum ein Zeichen zu setzen, das auch gleichbedeutend mit einer Aussage über den Zustand unserer Kultur sein wird.
Anmerkung: Der Text oben stammt aus dem Jahr 1999. Erst im Jahr 2001 besuchte ich durch einen Zufall die jüdische Gemeinde in Fulda. Das kam so: Ich war auf einem Kongress der charismatischen Erneuerung in Fulda. Dort lernte ich Alfons Büttner kennen. Ich übernachtete bei ihm und am nächsten Tag brachte er mich in die jüdische Gemeinde zur Vorsitzenden Frau Linde Weiland. Sie saß an ihrem Schreibtisch und hinter ihr war ein Bild, das genau die grüne Mitte aus "meinem Denkmal" zeigte. Ich fragte sie, was das Bild bedeuten würde. Sie sagte, es sei der 1. Psalm in Form vom Baum des Lebens geschrieben. Erst dort in der Synagoge fand ich heraus, was das wichtigste Element in dem Denkmal aus meiner Vision überhaupt bedeutet! Ich finde aber, ich hatte es gefühlsmäßig ohne dieses Wissen bereits gut umschrieben.
Hier geht es zum 5. Kapitel Erinnerungskultur
Hier geht es zurück zur Übersicht: Das Buch (1999)