Paradigmenwechsel Philosophie

Einweihung des Friedensmals im Jahr 2015 mit der Überlebenden von Auschwitz Batsheva Dagan

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Der Paradigmenwechsel bedeutet nicht die Entwertung der "deutschen Mahnmalkultur" sondern betrifft eine geistige bzw. durchgeistigte Sicht des Lebens, die in diesem Friedensmal deutlich werden möge.


Ein neuer Weg

Diese Friedens- und Freiheitsstätte beschreibt nicht die Illusion einer guten, friedlichen Welt. Das Leben mit seiner Bewegung entwickelt sich aus dem Ringen verschiedener Kräfte. Und doch gibt es einen inneren Punkt des Friedens tief in der menschlichen Seele, den es in den eigenen Prozessen, die man durchlebt, zu finden gilt. Das ist ein religiöser Aspekt. Hat man diesen Punkt gefunden, wird man sich dennoch wieder in die Welt, die immer noch ihre Probleme bereithält, begeben. Ja, man kann Frieden stiften - wozu die Symbolik der künstlerischen Gestaltung am Ort aufruft - aber nicht mit schönen Worten, sondern im gerechten Handeln. Es geht darum, der Realität ehrlich und gerecht zu begegnen und nicht in den Prozessen, die das Leben ja ausmachen, stecken zu bleiben.

Der Ablauf eines solchen Prozesses wird in der Dialektik beschrieben: Thema - Auseinandersetzung - Integration. Der Stufe der Auseinandersetzung kann das Mahnmal, aber auch ein Kriegsdenkmal zugeordnet werden. Der Stufe der Integration wäre das Friedensmal zugeordnet. Als ich 1998 auf Grund der Holocaust-Mahnmal-Debatte mein Buch zu dem Thema schrieb meinte ich, dass diese letzte Stufe im Gedenken fehlte. Ich hatte den Eindruck, dass unser ganzes Land in seiner in Denkmälern beschriebenen Vergangenheitsbewältigung steckengeblieben wäre und Mahnen und das Mahngedenken immer mehr zum Selbstzweck würde. Ich sah, dass die Überleitung in die Integration fehlte. Sich die „Schatten” anzuschauen ist eine unbedingte Notwendigkeit um mehr Licht ins Leben zu bringen. Beim Negativen stehen zu bleiben tut aber niemandem gut. Auch ein ganzes Land kann dies nicht vertragen. Wir brauchen einen Wendepunkt fürs Leben. Was wollen wir also Positives ins Leben bringen, weil wir etwas aus der Vergangenheit verstanden haben?

Bereits im Jahr 1999 versuchte ich die ersten Ideen, die das Projekt ausmachen, öffentlich zu machen. Tatsächlich fand ich die Bundestagsabgeordnete Frau Widmann-Mauz, die im Rahmen der Berliner Mahnmaldebatte einen Antrag stellte, über den im Bundestag entschieden würde und worin sich dann auch meine Ideen fanden. Doch keine einflussreiche Zeitung berichtete darüber. Ich rief damals den zuständigen Redakteur einer der größten deutschen Tageszeitungen an und fragte, warum sie über dieses wichtige Thema nicht berichten würden. Die Antwort: „Wir können darüber nicht berichten, weil Sie ja ein völlig neue Perspektive bringen. So kann aber die Debatte nicht beendet werden”. Ich habe im Rahmen meiner Arbeit viele ähnliche Aktionen mit dem immer gleichem Ausgang erlebt.

Ich glaube mit meiner künstlerischen Arbeit zu helfen, eine Blockade in der deutschen Gedenkkultur zu lösen und in die Integration überzuleiten. Die eigentliche Arbeit besteht jedoch darin, sich mit dieser Idee verständlich zu machen. Denn was noch nicht mit Worten und Bildern im Denken verankert ist, kann nur schwer verstanden werden. Selten wird begriffen, dass Projekte wie diese in ihrer erneuernden Wirkung eine kulturelle Notwendigkeit sind. Vergeht unsere Kultur, so zerbricht auch unsere auf bestimmte Werte gegründete Gesellschaft.

Bei diesem Projekt geht es nicht „nur” um den Bau eines Denkmals. Es geht um eine Geisteshaltung, die sich in dem Konzept des
Friedensmals ausdrückt und die notwendigerweise in der Gesellschaft gesehen werden soll. In ihr zeigt sich, dass das Negative Grund genug ist für eine bessere Welt zu arbeiten; dass es Hoffnung gibt. Unser Land wird diese Hoffnung brauchen, denn eine Gesellschaft muss sich immer wieder selbst erneuern können.

Mit drei verschiedenen Weisen des Gedenkens an eine schmerzvolle Vergangenheit können auch drei Wege bezeichnet werden mit der Wirklichkeit umzugehen: 1. Schlussstrich, 2. „Mahnmalstolz” (Deutschland ist stolz darauf seine Vergangenheit bewältigt zu haben und sieht sich darin als Vorbild in der Welt) und 3. ein
Zeichen des Wandels: beim Friedensmal mit dem Wendepunkt fürs Leben in seiner Mitte (später hinzugefügt: "umrahmt vom Garten der Freiheit") geht es darum, auch das Negative zugeben zu können in dem Wissen, dass es jetzt mit der eigenen positiven Art zu denken und zu handeln gewandelt wird.

Die Wege von „Schlussstrich” und „Mahnmalstolz” sind in unserer Kultur bekannt und werden gelebt. Der „Schlussstrich” steht für die Geisteshaltung der Ignoranz, die, wenn sie weite Bevölkerungsteile erfasst hat, jede echte Kultur untergräbt. „Mahnmalstolz” steht für die Geisteshaltung, im Negativen festzusitzen - das nimmt Leben und kann ein Land sogar von innen heraus zerstören. Zu mahnen ist nicht falsch. Es ist ein notwendiger Schritt in einem dialektischen Prozess, der mit der Integration des Themas in einen eigenen inneren Frieden mündet und damit auch in der Außenwelt echten Frieden schafft. Das ist dann auch mit einer Demut verbunden. Es gibt gute Gründe sich mit dem Weg, der durch das Friedensmal bezeichnet wird, zu beschäftigen.





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