Erinnerungskultur  


Kapitel:
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Vorwort aus dem Jahr 2023

Liebe Leserinnen und Leser,

der folgende Text ist mehr als nur ein Entwurf für ein Denkmal; er ist ein Appell an unser kollektives und individuelles Bewusstsein. In einer Zeit, in der die Erinnerungskultur oft polarisiert und spaltet, möchte ich einen anderen Weg aufzeigen. Dieser Text, der vor mehr als 22 Jahren entstanden ist, bleibt in seiner Botschaft zeitlos relevant: Er fordert uns auf, über die bloße Erinnerung hinaus zu gehen und einen Prozess der inneren Versöhnung anzustreben. Ich lade Sie ein, sich auf diese gedankliche Reise zu begeben und die vielschichtigen Ebenen dieses komplexen Themas zu erkunden.

Herzlichst,
Thomas Zieringer


Ein Denkmal der Versöhnung


Verschiedene Perspektiven - erste Planung
Vielleicht mag sich manch einer fragen, ob es ein Zuviel an Mahn- und Denkmälern geben kann. Wir kommunizieren über Formen, Bilder und über die Sprache. Denkmäler können uns etwas erzählen und sie können zu einem Zeichen werden, das sich die Gesellschaft setzt, um bestimmte Aussagen verbindlicher zu machen. Sie formen also auch Kultur. Ein Denkmal, das eine neue Sichtweise zeigt, das vorhandene Aussagen aufgreift und erwidert, wird nicht daran scheitern, daß es bereits Denkmäler gibt.

Das hier gestaltete "Denkmal der Versöhnung" greift die Aussagen der "Mahnmaldebatte auf und erwidert sie, es geht einen Schritt weiter Richtung Integration und es steht auch nicht in Konkurrenz zum geplanten nationalen Holocaust-Mahnmal des Architekten Eisenman in Berlin. Seine Wirkung ist eine ganz andere: die Berliner Mahnmal-Debatte zeigte eine Erstarrung und sie quälte sich in dem Versuch, zu erörtern ob man das Grauen des Holocaust in einem Denkmal sichtbar machen kann. Mein Vorschlag für eine Gestaltung hingegen spricht über Ursachen, statt sich ausschließlich auf die Darstellung ihrer Wirkung zu konzentrieren. Das Denkmal das ich bauen möchte, soll einen Weg in die Herzen der Menschen finden.

Mein Vorschlag für ein "Denkmal der Versöhnung" ist, eine Bewegung im Denkmal zu erzeugen, um so auch die Menschen zu bewegen. Dies gelingt, indem zwei Elemente in die Gestaltung einfließen, die zusammen eine Spannung schaffen, welche die Kostbarkeit des Lebens und die Würde des Menschen verdeutlicht. Leid und Schmerz auf der einen Seite, Hoffnung und Ausweg auf der anderen. Es ist ein Denkmal, das den Wert und die Würde des Menschen verdeutlichen und den Holocaust in seiner absoluten Menschenverachtung begreifbarer machen soll. So wird es zu einem Symbol der Demut, denn Demut bedeutet, sich der Fehler und Unvollkommenheit des Menschen bewußt zu sein, aber auch um seinen unschätzbaren Wert zu wissen.

Ein "Denkmal der Versöhnung" steht für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Erinnerungskultur die Zeit des Nationalsozialismus betreffend. Es setzte nicht der Versöhnung ein Denkmal, sondern soll der Versöhnung einen Weg bereiten. Die Versöhnung entsteht dabei in einem Zu-sich-selbst-kommen in Gott und kein Politiker könnte dafür eine Entscheidung treffen. Es ist inneres Geschehen.


Holocaust - deutsche Schuld

War der Holocaust singulär

Ich möchte mich nun mit der Frage beschäftigen, ob der Holocaust ein Ereignis war, das in einmaliger Weise völlig außerhalb des normalen menschlichen Verständnisses steht, das nicht begriffen werden kann und das auch folglich in keiner künstlerischen Gestaltung angemessen dargestellt werden kann. Das Geschehen des Holocaust ist singulär. Von außen her betrachtet kann es in keiner künstlerischen Gestaltung angemessen dargestellt werden. Hier beschreite ich aber einen anderen Weg. Ich möchte das Geschehen "von innen", vom einzelnen Menschen her betrachten. Mir geht es also, wie schon erwähnt, vorrangig um die Darstellung von Ursachen. So gelangt man zu der sehr wichtigen Erkenntnis, daß sich in der Geschichte der einzelne Täter immer - auch beim Holocaust - in einem Rahmen verhalten hat, der ganz zur menschlichen Natur gehört. In dieser Perspektive hat das Verbrechen auf den Einzelnen mit seinem eigenen Anteil bezogen nichts einmaliges, die Ursachen können vermittelt werden, Konsequenzen begriffen und eine künstlerische Gestaltung ist möglich.

Das Potential des Menschen umfasst genauso wie das Gute auch das Schlechte. Es gilt zu lernen, sich selbst zu erkennen, damit man mit all seinen Seiten umgehen kann. Denkmale gehören zur Kultur. Eine wichtige Aufgabe der Kultur ist es, den Menschen aufzuklären und zum Guten zu leiten, indem sie die entsprechenden positiven Bilder vermittelt. Aufgabe der Kultur muß sein, die positiven Kräfte zu stärken. Deshalb sollte auch gerade ein Holocaust-Gedenken das Gute im Menschen ansprechen und stärken, soll es tatsächlich zu einer positiven Veränderung und Stabilisierung einer zivilisierten Gesellschaft beitragen. Dies ist eine weitere Bedeutungsebene der Gestaltung: Das von mir vorgeschlagene Denkmal zeigt den angesprochenen Erkenntnisprozess. Man sieht auch, daß das Potential zum Guten und das Potential zum Schlechten eine Einheit (Kreis) bilden, daß Trennung keinen Sinn macht.


Ein Erinnerungsstein


Ein Erinnerungsstein mit der Liste der Konzentrationslager
Naturstein, braun-ocker, oben gebrochen / uneben, Oberfläche geglättet (nicht poliert)
Maß: 1.65 x 1.10 x 0.40, Anzahl: 35


Geschichte des KZ Natzweiler-Struthof
(Außenlager Bensheim-Auerbach mit Betrieb in Hochstädten)

Liste der Konzentrationslager


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