Spiritualität und Glaubenssätze Über die Transzendierung religiöser Ideen

Kapitel: Künstler / Spiritualität


Ein kurzer Text von Thomas Zieringer über Glaubenssätze und die Transzendierung religiöser Ideologien.


Der Name „Jerusalem Friedensmal“

Vom Friedensmal aus blickt man auf das sogenannte Jerusalem am Rhein. Hier nahmen die komplizierten deutsch-jüdischen Beziehungen ihren Anfang, als im Zuge der Kreuzzüge die blühende jüdische Kultur am Rhein zerstört wurde. Eine gründliche Aufarbeitung dieser frühen, tragischen Ereignisse und ihrer weitreichenden Folgen steht größtenteils noch aus und bleibt eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe.

Interessanterweise entstand dieser Bezug zum „Jerusalem am Rhein“ eher zufällig während der Errichtung des Friedensmals. Die Ernennung der SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz zum Weltkulturerbe aufgrund ihrer jüdischen Geschichte erfolgte erst nach der Fertigstellung des Friedensmals. Der Name „Jerusalem Friedensmal" - eine durchaus mutige Namenswahl - existierte also bereits, bevor die Verbindung zum „Jerusalem am Rhein“ öffentlich bekannt wurde. Ein kleines Wunder ist das schon.

Inzwischen bezieht sich der Name "Jerusalem" auf den 'Stein der Begegnung' am Friedensmal. Es stellte sich heraus, dass die Benennung des gesamten Denkmals als 'Jerusalem Friedensmal' doch zu mutig war, obgleich der historische Bezug mit dem 'Jerusalem am Rhein' vorhanden war. Diese Idee fand jedoch keine Unterstützung in der Gesellschaft, insbesondere bei der Politik und den Religionen. So bleibt also das 'Jerusalem' als Teil der Geschichte dieses Denkmals erhalten und es steht eben auch noch mit dem 'Yerushalayim' auf dem 'Stein der Begegnung'.

Der Künstler hatte zunächst den Namen 'Jerusalem' aus einem anderen Grund gewählt als dem historischen Bezug durch das ehemalige 'Jerusalem am Rhein': Jerusalem bedeutet übersetzt „Stätte des Friedens“. Um äußeren Frieden in der Welt zu schaffen, im Jerusalem der Welt, braucht es Frieden in der eigenen Seele, ein "Jerusalem" in uns. Dieser Gedanke geht über konkrete religiöse Zugehörigkeit hinaus und fordert eine Transzendierung religiöser Ideologien. Mystiker aller Religionen stimmen in diesem Punkt überein. Bezogen auf unsere eigene Kultur sagte Karl Rahner: "Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein - oder er wird nicht sein".

Das Friedensmal öffnet den Raum zur Begegnung von Menschen, die ihre eigenen Glaubenssätze haben, die ihre Religionen haben, die vielleicht auch gar keine Religion haben.

Die „helle Fläche“ im Friedensmal symbolisiert den „Raum der Begegnung“, in dem 22 Werte des Miteinanders verankert sind. Diese „Fläche“ existiert in jedem Einzelnen von uns und ermöglicht durch die Begegnung mit anderen eine Reflexion über uns selbst. Dies hilft uns, uns von festgefahrenen Glaubenssätzen und Ideologien (der dunkle Ring im Denkmal) zu befreien. Der „Baum des Lebens“ im Zentrum des Denkmals, der den "dunklen Ring" von innen durchbricht, steht für die Verbindung von „Himmel“ und „Erde": der Mensch wächst als ein Entwicklungsschritt in ein erweitertes Bewusstsein, was ohne ein Wertefundament, wie wir Menschen miteinander umgehen, nicht geht. Unten und oben, innen und außen sind miteinander verwoben.



Über den Glauben

Glaube kann in schwierigen Zeiten Halt bieten, besonders wenn Illusionen zerbrechen. Bewusstsein formt unsere Welt. Aus dieser Welt heraus versucht reflektiertes Bewusstsein seine Quelle zu erkennen. Dies unterscheidet den Menschen vom Tier. Doch ist dieses Streben nicht eher ein ewiges "Fallen in Gott", als eine festgemachte religiöse Ideologie? Was können wir wirklich über eine Ebene wissen, die menschliches Bewusstsein gar nicht fassen kann?

Ich respektiere Religionen als Wege, sich einer höheren Ebene zu nähern. Sie bieten Halt und ein Wertefundament für die persönliche und kollektive Entwicklung. Dennoch sollte jedem die Freiheit gewährt werden seinen eigenen Weg zu finden, sei es innerhalb oder außerhalb einer bestehenden Religion: die Freiheit sich immer wieder neu zu entscheiden, den Glauben zu erweitern, zu vertiefen - bis hin zum Numinosen.

Im Christentum leitet sich der Name „Jesus“ vom aramäischen Namen Jeschua ab, was „Gott rettet“ bedeutet. Der Mystiker kann dieser Aussage zustimmen. „Christus“ ist ein Titel und bedeutet, in die Gotterkenntnis gelangt zu sein. Es könnte bedeuten, dass man erkennt, dass Rettung oder Heilung nicht von außen kommt - weder von einer Person noch von einer religiösen Ideologie. Stattdessen versteht man, dass man selbst der Ort der Transformation ist, dass es ein innerer Prozess ist.





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