Frieden und Schalom Ein Ort der inneren und äußeren Versöhnung

Die Blüte des Lebens im Friedensmal

Kapitel: Wandel / Frieden & Schalom


Einleitung

Das Friedensmal ist weit mehr als nur ein physischer Ort; es ist ein lebendiges Symbol für die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Streben nach innerem und äußerem Frieden. Gelegen in der malerischen Kulisse des Odenwalds, entfaltet sich hier ein Raum, der die Wunden der Geschichte nicht nur sichtbar macht, sondern sie in einen Kontext der Versöhnung und des Neubeginns stellt. Dieser Ort lädt Menschen ein, sich selbst und die Welt in einem neuen Licht zu sehen, geprägt von der Würde des Einzelnen und der kollektiven Verantwortung für Frieden und Freiheit.

Das Projekt markiert einen Wendepunkt in der deutschen Erinnerungskultur. Es erweitert die Grenzen des Gedenkens und öffnet Türen für eine zukunftsorientierte, gemeinschaftlich organisierte Welt. Das Friedensmal ist ein Ort, an dem Versöhnung nicht nur als historische Notwendigkeit, sondern als lebendige spirituelle Praxis erlebt wird.

Trotz der Herausforderungen und Kontroversen, die das Projekt begleiteten, wurde es zu einem überzeugenden Beispiel für die transformative Kraft der Kunst und der Spiritualität. Es ist ein Ort, an dem die Seele atmen und der Geist sich erheben kann, um die Welt ein Stück näher an das Ideal des himmlischen Jerusalems zu bringen. So wird das Friedensmal zu einem universalen Zeichen der Hoffnung und der Inspiration für alle, die nach innerem und äußerem Frieden streben.


Eine Idee von Jerusalem

Eigentlich gibt es nur ein Ziel des Projekts: Frieden und Schalom. Damit ist ein umfassender Frieden gemeint, der in der eigenen Seele verankert ist. Frieden wird hier als eine innere Haltung verstanden, die von innen nach außen wirkt, symbolisiert durch die Blüte des Lebens im Zentrum des Friedensmals. Dieser Friede schließt niemanden aus. Alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Hintergrund, haben ihren Schmerz und ihre Freude. Jeder Besucher kann diesen Ort aufsuchen und Schalom als Frieden im eigenen Herzen erfahren. Dieser Ort verkörpert somit etwas vom 'himmlischen Jerusalem' und ist daher nicht nur ein "Denkmal für die Juden" oder ein "Denkmal für die Deutschen", sondern ein Schalom für alle Menschen.

In einer Welt, die oft von ermüdender Komplexität und einem Gefühl der Ohnmacht geprägt ist, findet die Auseinandersetzung um das wahre Schalom auf einer anderen Ebene statt als in den sichtbaren politischen Auseinandersetzungen. Diese sind äußere Manifestationen; die eigentliche Arbeit an den Ursache liegt im Inneren. Es handelt sich um eine innere und spirituelle Arbeit am kollektiven Bewusstsein. Hier wird gebunden und hier kann gelöst werden. Diese Arbeit ist not-wendig, um Resonanzen für Schalom in der äußeren Welt überhaupt zu finden bzw. schaffen zu können.

Musik hat die Kraft, das Unsagbare auszudrücken und uns auf einer tieferen Ebene zu berühren. Ein Musikstück, das die Essenz dieses Projekts einfängt, ist '
Rückkehr zu meiner Seele' von Rabbi Shlomo Carlebach, der 1925 in Berlin geboren wurde. Seine Musik vermittelt universelle Botschaften des Friedens und der Versöhnung, die weit über kulturelle und religiöse Grenzen hinausgehen und den Geist des Friedensmals verkörpern.



Ziele beim Projekt


  • Das Friedensmal verkörpert in seiner Symbolik die Versöhnung zwischen Menschen sowie die Versöhnung mit uns selbst. Obwohl das Projekt in Deutschland entstanden ist und auf die spezifischen Traumata im kollektiven Bewusstsein dieses Landes eingeht, hat seine Botschaft eine universelle Bedeutung. Sich der Vergangenheit zu stellen und eine Verbindung zu ihr zu haben, ist wichtig, selbst wenn dies mit Schmerz verbunden ist. Doch das Projekt strebt darüber hinaus: Es zielt darauf ab, die Last der Vergangenheit in einen Segen für die Zukunft zu verwandeln. Nur dann kann von wahrer Verantwortung gesprochen werden. In diesem Sinne wirkt das Friedensmal als ein Ort des Schalom.
  • Diese Arbeit findet am Fundament unserer Kultur statt, die sich über Jahrtausende entwickelt hat. Um Nachhaltigkeit zu gewährleisten, muss die in der Kultur verankerte Spiritualität in der materiellen Welt sichtbar werden – durch die Sprache der Kunst, Symbole und Denkmäler. Das Friedensmal dient diesem Ziel und betont die Notwendigkeit, die Idee des Friedens in den Herzen der Menschen zu verankern, um weltweiten Frieden zu ermöglichen.
  • Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es im 1. Artikel des deutschen Grundgesetzes, formuliert im Bewusstsein von Krieg, Verfolgung und Entmenschlichung. Der Mensch, der sich seiner Würde bewusst ist, kann aufrecht seinen Weg in dieser Welt gehen. Wo fängt die Entwürdigung des Menschen an, und wie können wir verhindern, dass wir selbst oder andere nicht mehr aufrecht gehen können? Das Friedensmal möchte in diesem Sinne eine Stimme sein, die nicht niederdrückt, sondern Menschen ermutigt und aufrichtet.


Um die Bedeutung von Würde und Aufrichtigkeit besser zu veranschaulichen, möchte ich ein Gedicht teilen, das ich im Jahr 2014 geschrieben habe:

Aufrecht sein

Im Lärm und Kampf
bestehen und siegen
soll die Weisheit darin liegen
sich im Innern zu verbiegen?

*
Aus der Stille, aus dem Innern,
reicher als des Goldes Schimmern,
reiner Worte sich erinnern
dass sie richten Seelen auf


(T. Zieringer, 2014)

Vergangenheit

Das Friedensmal, gelegen auf einem Hügel der Bergstraße im Odenwald, ist nicht nur ein physischer Ort, sondern auch ein Symbol, das tief in der Geschichte verwurzelt ist. Unterhalb im Tal befand sich während des letzten Kriegsjahres des sog. 3. Reiches eine Außenstelle des KZ Natzweiler-Struthof, was die Themen Krieg, Verfolgung und das mit seinen KZ's und den zahlreichen Außenlagern ganz Europa überspannende Lagerwesen des Nationalsozialismus aufgreift.

Von diesem Ort aus blickt man in die Rheinebene, die einst das Zentrum der blühenden aschkenasischen Kultur im Hochmittelalter war – bekannt als das
Jerusalem am Rhein. Diese Kultur wurde während der Kreuzzüge zerstört, was zur Flucht vieler deutschsprachiger Juden nach Osteuropa und zur Entstehung der jiddischen Sprache führte.

Die Wahl des Ortes für das Friedensmal reflektiert diese Vergangenheitsthemen: Es entstand somit nicht nur als Idee in einer grünen Landschaft, sondern am geeigneten Ort als nächster Schritt zur Heilung und Versöhnung. Das Friedensmal symbolisiert einen neuen „positiven Weg“ in der deutschen Erinnerungskultur und steht für Licht, Liebe, Freiheit und Frieden.


Die Tatsache, dass es in Deutschland relativ wenig Erinnerungskultur gibt, die das Leben in den Mittelpunkt stellt, spiegelt sich in der Geschichte des Friedensmals wider. Seine Entstehung außerhalb staatlicher Strukturen in Eigeninitiative und seine anfängliche Ausgrenzung in der Gesellschaft mit massiven Angriffen gegen den Initiator zeigen, wie herausfordernd es sein kann, einen neuen Weg in der Erinnerungskultur zu gehen, um Menschen zu einem
Leben in Freiheit und der Wahrnehmung von Selbstverantwortung zu ermutigen. - Diese Ausgrenzung geschah genau in dieser deutschen Erinnerungskultur, deren Thema selbst doch die Ausgrenzung ist und was sich Schlimmes daraus entwickeln kann. - Diese Erfahrung mit der Wirklichkeit ist Teil der Geschichte des Friedensmals bzw. des Jerusalem Friedensmals und sie unterstreicht die Bedeutung der Bürgerinitiative für Frieden und Selbstverantwortung, dass also Erinnerungskultur nicht nur 'von oben' von einem Staat verordnet werden kann; sie muss 'von unten' - aus dem bürgerschaftlichen Engagement heraus - leben dürfen.

Ein Politiker an entscheidender Stelle schrieb mir damals zur Zeit der Bauarbeiten besorgt: „Was aber, wenn noch mehr Bürger auf die Idee kommen, einfach Friedensmäler zu bauen?“ Die Frage, die sich stellt, ist, wie Regierungen und Machtstrukturen auf die Idee der Bürger reagieren, ernsthaft einen Weg der Freiheit und Selbstverantwortung zu gehen. Das Friedensmal steht als ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist, Räume für diese Art von Engagement und Erinnerung zu schaffen und zu erhalten.


In die Verantwortung gehen

Diese Überlegungen verdeutlichen, dass der notwendige Wandel tiefgreifend sein muss. In den Frieden zu kommen und „etwas aus der Vergangenheit zu lernen“, bedeutet für eine Gesellschaft letztendlich, von einem hierarchisch organisierten System - spät, aber hoffentlich noch rechtzeitig - Abschied zu nehmen, das auf Macht, Manipulation und zentraler Kontrolle basiert. Stattdessen sollte ein dezentral organisiertes System angestrebt werden, in dem Menschen sich selbst frei organisieren und die Macht von unten nach oben wirkt – ein Ansatz, der echter Demokratie entspricht und ohne Machtmissbrauch auskommt.

Eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit muss daher auch die traditionellen Machtstrukturen in Frage stellen. Dies wird insbesondere seit dem Jahr 2020 (Beginn der Corona-Krise) am Umgang staatlicher Strukturen mit den Menschen und die Einflussnahme dieser Strukturen auf ihr Verhalten deutlich.


Wendepunkt zum Leben

Der Wendepunkt im Garten der Freiheit

Hier geht es zum Wendepunkt

„Erinnern alleine reicht nicht!“ – dieser Anspruch prägt das Projekt und seine Wirkung in der Gesellschaft. Es geht um die heute wahrgenommene Verantwortung für das Leben. Der im Friedensmal beschriebene Prozess, „wo sich Staub zu Licht wandelt“, beschreibt eine fortlaufende positive Entwicklung in die Zukunft hinein. Es geht nicht darum, die Vergangenheit „endgültig bewältigt“ zu haben, es geht auch nicht um Schuldgefühle, sondern um echte Bewusstwerdung und ständige Verantwortungsübernahme für die Werte des Lebens. Dieser Ansatz ist damit auch die Chance, die jungen Generationen wieder zu erreichen. Hier ist eben nicht der Frieden der Friedhofsruhe gemeint, sondern neues Leben; ein Frieden, der täglich neu gelebt selbst zum Weg wird.

„Dass wir die Zäune im Miteinander erkennen und unser Leben nicht im Vergangenen suchen“ – dieser Satz auf dem Stein der Begegnung an der äußeren Grenze der Friedensstätte symbolisiert die ständige Veränderung von Gesellschaften. Das Friedensmal steht für Erinnerung, aber auch für Ermutigung zum Leben, für positive Veränderung hin zur Freiheit und zum Licht; hin zum Leben.

Das Leben ist schön, trotz der Dunkelheit, die in den Medien oft dominiert. Diese Dunkelheit ist Teil unseres Lebens und berührt unsere Geschichte und Erfahrungen. Und doch wissen wir, dass wir nie in einer Welt zufrieden sein können, in der Ignoranz und grundloser Hass überschattet, was eigentlich ein Leben erfüllt von Schönheit, Wahrheit und Güte sein sollte. Dieses Ziel unterstützt und symbolisiert das
Friedensmal.


Ein identitätsstiftendes Symbol

Rose der Liebe

Die Art und Weise, wie eine Nation sich ihrer Vergangenheit stellt – mit der Bereitschaft, ehrlich ihre Schwächen zu erkennen und Verantwortung zu übernehmen – ist entscheidend für ihre Fähigkeit, den Herausforderungen der Zeit kraftvoll zu begegnen und als Kultur bestehen zu bleiben. Das Friedensmal soll als Impuls und Projektionsfläche für diesen Wendepunkt zum Leben dienen, repräsentiert durch den Mittelpunkt der Blüte des Lebens im Zentrum des Denkmals. Ziel des Projekts ist es nicht, 'den Deutschen' erneut Schuldgefühle zu vermitteln, sondern durch Selbsterkenntnis die Voraussetzungen für eine positive, lebensbejahende Zukunftsgestaltung zu schaffen.

Das 26 Meter durchmessende
Friedensmal ist das zentrale Element der Gestaltung und steht für einen neuen Umgang mit der Vergangenheit. Die Kunst als Sprache ist hierfür besonders geeignet. Die langfristigen gesellschaftlichen Auswirkungen eines solchen Impulses können weitreichend sein. In Deutschland ist ein solches Projekt einzigartig. Das Friedensmal symbolisiert den Übergang von der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zur Integration und Verantwortung für aktives gesellschaftliches Engagement für Frieden und Freiheit. Es erfordert Zivilcourage und bürgerschaftliches Engagement und wird dadurch zu einem positiven, identitätsstiftenden Symbol für die Nation und darüber hinaus.


Ein Gedenken das in die Zukunft reicht

Das Friedensmal verdeutlicht, dass ein Denkmal Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ansprechen und miteinander verbinden kann. Es geht hier nicht um die „Bewältigung“ der Vergangenheit. Vielmehr ist die Vergangenheit ein Gleichnis für die Gegenwart, aus der die Zukunft entsteht. Sie wiederholt sich, oft in veränderter Form, wenn sie nicht verstanden wurde. Im Friedensmal wird dieser Kreis vom Baum des Lebens durchbrochen, was für das klare innere Erkennen steht. Er ist umgeben von einer „Tanzfläche“; einem Begegnungsraum für den Anderen in sich selbst. Dieser Raum steht für einen wahrhaftigen Austausch in der Gemeinschaft und die Erkenntnis des Selbst im Dialog mit dem „Du“, angelehnt an die Philosophie Martin Bubers.

Die „Tanzfläche“ symbolisiert auch einen anderen freieren Umgang miteinander, eine Offenheit für den Anderen als Tanzpartner statt als Gegner oder Feind. Dies ermöglicht ein Lernen voneinander und das Ausprobieren neuer Figuren und Wege.

Das
Friedensmal bringt einen wertschätzenden, lebensbejahenden und zukunftsorientierten Impuls in die deutsche Erinnerungskultur und könnte dadurch auch jüngere Generationen erreichen. Es könnte sogar als Brücke für ein tieferes Verständnis des Mahnmals für die ermordeten Juden in Berlin dienen. Eines der Problem in der deutschen Gedenkkultur ist, dass der Eindruck entstanden ist es dürfe nur über das Leid "der Anderen" gesprochen werden und die Beschäftigung mit dem eigenen Leid sei der erste Schritt der Verleugnung eigener Verbrechen in der Geschichte. Das Projekt betont, dass ein Verständnis für das eigene Leid notwendig ist, um das Leid "der Anderen" wirklich nachvollziehen zu können.

Verantwortung ist ein zentraler Aspekt dieses Projekts. Um die vielschichtige Natur von Verantwortung besser zu erfassen, möchte ich ein Gedicht teilen, das die verschiedenen Dimensionen dieses Begriffs beleuchtet:


Verantwortung bedeutet,
einen Schritt weiter zu gehen -

ins Leben.

Es bedeutet nicht, sich des Leidens nicht mehr zu erinnern, sondern es zu verwandeln.

Verantwortung bedeutet,
einen Schritt weiter zu gehen -

in die Liebe.

Die Liebe fragt nach der Wertschätzung des Lebens und der Würde des Menschen.

Verantwortung bedeutet,
einen Schritt weiter zu gehen -
in die Freiheit.


Ein Zeichen jüdisch-christlicher Versöhnung

Das Friedensmal mit seinem 'Stein der Begegnung' (mit der Inschrift: Yerushalayim…) ermöglicht ein tieferes Verständnis unserer kulturellen Wurzeln und symbolisiert das tiefe kulturelle Erbe, das Judentum und Christentum miteinander teilen. Die Wurzel 'Jerusalem' reicht über das Christentum bis ins Judentum. Es ist die tiefste Wurzel der europäischen Kultur. Jesus, die zentrale Figur des christlichen Europas, war selbst Jude und interpretierte die Tora (das Gesetz), ohne eine neue Religion zu begründen. Dies wird deutlich im Matthäusevangelium: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. (Matthäus 5,17).


Jerusalem als Symbol jüdischer und christlicher Kultur

Das Bild zeigt das österreichische Hospiz in der Jerusalemer Altstadt. Jerusalem ist der bedeutendste Ort sowohl für das Judentum als auch für das Christentum.

Das gemeinsame Fundament von Judentum und Christentum wurde durch Diskriminierung und Verfolgung, insbesondere während der Shoa, aber bereits im Hochmittelalter während der Kreuzzüge, tief verletzt: Um Jerusalem vom Islam zu befreien, zerstörten die christlichen Kreuzritter zu Hause das jüdische „Jerusalem am Rhein“. Dieses Ereignis kann als erster Vorläufer der Shoa betrachtet werden. Eine Aufarbeitung fand nie statt. Das Friedensmal schlägt eine Brücke zwischen diesen tiefen Verletzungen an den Juden und den Verletzungen der Christen an sich selbst und ihrem Glauben und einer Heilung an der kulturellen Wurzel.

Die Erosion des christlichen Glaubens in Westeuropa und der Verlust der kulturellen Wurzeln werden treffend von Gilbert Keith Chesterton beschrieben. Seine Worte aus dem Jahr 1908 spiegeln die aktuelle Situation wider und unterstreichen die Notwendigkeit einer Heilung an der Wurzel unserer Kultur:
Wenn ein religiöses System zerstört wird (…), werden nicht nur die Laster losgelassen. Die Laster werden tatsächlich losgelassen, sie wandern und richten Schaden an. Aber auch die Tugenden werden entfesselt, und sie streifen noch haltloser umher und richten noch schrecklicheren Schaden an. Die heutige Welt steckt voll von alten christlichen Tugenden, die durchgedreht sind. Sie sind durchgedreht, weil sie auseinander gerissen wurden und allein umherstreifen. Dieses Zitat aus dem Jahr 1908 klingt noch immer als die realistische Beschreibung unserer aktuellen Situation in Europa. Was könnte noch deutlicher machen, dass es einer Heilung an der Wurzel bedarf, wie es das Friedensmal einbringt?

Eine Kultur Entwurzelter ist nicht überlebensfähig. Es ist wie bei einem Baum: nur ein Baum der Wurzeln hat kann sich in den Himmel strecken.

Die Gestaltung des
Friedensmals, insbesondere die Wahl der Symbole, spiegelt den Gedanken der Heilung wider. Das Wort „Yerushalayim“ auf dem Stein der Begegnung erinnert an die jüdische Kultur und deren Werte der Freiheit, während der Stern in der Blüte des Lebens und der Baum des Lebens auch Bezüge zum Christentum aufweisen. Durch diese Symbolik wird Jerusalem als bedeutendster Ort für beide Religionen gewürdigt.

 

Licht der Liebe

Die Metapher vom himmlischen Jerusalem, die sowohl im Christentum als auch im Judentum eine Rolle spielt, symbolisiert die Vision einer Welt in Frieden und Freiheit. Der Mensch bemüht sich nach dieser Auffassung, das 'irdische Jerusalem' dem 'himmlischen Jerusalem' näher zu bringen und sich so mit Gott zu versöhnen. Mit diesen beiden Aspekten Wurzel 'Jerusalem' und „himmlisches Jerusalem“ wird am Stein der Begegnung ein Bezug aufgenommen. Es zeigt, dass für eine gesunde und starke Kultur sowohl die Verbindung zu den Wurzeln als auch die Vision für die Zukunft notwendig sind. Auch ein Baum hat beide Aspekte: er kann nur dann seine Äste hoch in den freien Himmel strecken, wenn er die Wurzeln dafür hat.



Geopark Bergstraße-Odenwald

„Er erschien dem Moshe nicht am Palast des Pharao, sondern auf dem Land am Rande des Wegs.” Dieses Zitat spiegelt die symbolische Bedeutung des Standortes des Friedensmals wider. Grandiosität findet sich im kollektiven Schatten der deutschen Kultur. Weit weg von der politischen Hauptstadt Berlin in der südhessischen Provinz an einem Wanderweg ist es ein guter Ort um einfach zu werden. In dieser ruhigen, naturnahen Umgebung können Besucherinnen und Besucher von den komplexen und oft undurchsichtigen Spielen der Politik und Gesellschaft Abstand nehmen und sich in einen Raum für echte, unverstellte Begegnung mit sich selbst und der Geschichte auf die einfachen, fundamentalen Wahrheiten des Lebens besinnen. Eigentlich ist der Weg des Menschen in die Freiheit nämlich ein einfacher Weg. Er bedeutete einfach nur von den mentalen Konstrukten und Götzenbildern, die er mit seinem Verstand schuf und welche die Beziehung zu G-tt verstellen, wieder loszulassen. Das bedeutet die Loslösung von selbstgeschaffenen mentalen Barrieren und die Rückbesinnung auf die einfache, fundamentale Wahrheit des Lebens.

Die Formulierung „G-tt“ als Ausdruck jüdischer Tradition, die das Unfassbare und Unbeschreibbare des Göttlichen betont indem der Name unvollständig dargestellt wird, ist philosophisch von großer Bedeutung. Dieser Ansatz nimmt die Vorstellung von Gott aus der Vorstellung selbst heraus und damit auch die Barrieren zwischen den Religionen im interreligiösen Dialog; denn die Gemeinsamkeit in der Transzendenz wird verstanden. Diese Barrieren waren nie wirklich, liegen sie doch nur in verschiedenen Vorstellungen und Konzepten über eine nicht definierbare Gottesvorstellung, die das eigene Bewusstsein übersteigen muss und die auch eine Idee bzw. ein Traum 'seiner' nie endenden Entwicklung in sich selbst sein darf.

Der Denkmalkreis zwischen „Engelsflügeln“ am Friedensmal symbolisiert diese Rückbesinnung auf Menschlichkeit und Integrität. Der Ort lädt dazu ein, „
Zu zayn a Mensh“ – ein Mensch zu sein von Integrität und Ehre. Es ist ein Ort, der die Gelegenheit bietet, aus dem komplizierten und manchmal unehrlichen Spiel des Alltags herauszutreten und sich auf die grundlegenden Aspekte des Lebens zu konzentrieren.


Schalom und Frieden

Frieden und Schalom. Rabbiner Mordechai Mendelson und Künstler Thomas Zieringer besuchten zusammen das Friedensmal.




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