Das Bild zeigt die Einweihung des "Steins der Begegnung" im Herbst 2012
Kapitel: Projekt / Stein der Begegnung
Yerushalayim - Die Suche nach einem tieferen Verständnis
Auf einer Entdeckungsreise
In einer Welt, die oft von Konflikten und Missverständnissen geprägt ist, stellt sich die Frage nach dem Wesen von Frieden und Freiheit mit besonderer Dringlichkeit. Dieser Text nimmt Sie mit auf eine Entdeckungsreise, die am Stein der Begegnung beginnt und uns durch verschiedene Facetten von Grenzen, Kultur und Geschichte führt. Dabei werden wir erkennen, dass Frieden und Freiheit mehr sind als bloße Worte; sie sind Ideale, die unser Handeln und unser Zusammenleben prägen sollten.
Grußwort von Rabbiner Andrew Steiman zur Einweihung des Begegnungssteins: „Jerusalem ist mehr als ein Ort, Jerusalem ist ein Zustand der Schönheit. Jerusalem ist überall dort, wo Schönheit ist. Jetzt ist auch etwas davon bei Ihnen in Bensheim; und Bensheim kann damit auch in Jerusalem sein, wenn es will. Um in das Jerusalem von oben zu gelangen, muss man durch das Jerusalem von unten. Diese Möglichkeit hätte nun jeder in Bensheim… mehr“
Symbol und Botschaft des Steins der BegegnungDie Inschrift „
YERUSHALAYIM - 3000 km “ auf dem Stein der Begegnung an der Grenze zum Europäischen Fernwanderweg E8 ist mehr als nur eine geografische Markierung; sie ist „Ein Ruf voller Liebe nach Freiheit für den Menschen. Dass wir die Zäune im Miteinander erkennen…“ Diese Inschrift bestätigt die Bedeutung von Grenzen für den äußeren Frieden und für das Miteinander. Ohne einen Ordnungsrahmen gibt es weder Freiheit noch die Möglichkeit der Begegnung. Ohne einen Schutz des Heiligen verliert es seine Kraft und Schönheit.
Der Name Yerushalayim (Jerusalem, Gründung des Friedens) ist nicht zufällig gewählt. Er dient als versöhnendes Bekenntnis (Numeri 24:9) zu einer auch jüdischen Wurzel unserer Kultur und verankert Werte der Tora, wie die 10 Gebote, in unserem christlichen kulturellen Erbe. Der Name steht aber für mehr als eine religiöse Vorstellung. Er bezeichnet eine Idee des Lebens: Es ist wie aus einem dunklen Traum aufzuwachen und sich in einer Welt wiederzufinden, in der Menschen in Frieden, Freiheit und gutem Willen füreinander zusammenleben; eine Welt voller Schönheit, Hoffnung und Licht. Die verletzte Wurzel „Jerusalem“ in Deutschland braucht Heilung.
Ein Stein am Wanderweg
Der Stein der Begegnung befindet sich an einem Wanderweg. Jener steht als Metapher für den Weg der Erfahrungen im Leben. Der Stein der Begegnung zeigt die Begegnung mit der Welt auch in einer Konfrontation mit dem Schmerz und dem Leid des Lebens. Zugleich symbolisiert er die Hoffnung, die der Mensch auf seinem Weg haben darf, um nicht auf Grund von Enttäuschungen, eigenen oder fremden Versagens, Neid und Lüge, um nicht auf Grund einer als erdrückend empfundenen Last aufzugeben; um trotzdem weitergehen zu können.Die Bedeutung von Grenzen
Frieden und Grenzen
Doch diese neue Welt, in die jeder seine Schönheit einbringen mag, die Nähe zwischen den Menschen, ist ohne gesunde Grenzen nicht möglich. Wir würden uns verlieren. Die Grenzen müssen wir erkennen, um sie achten zu können. Zäune errichten wir und Grenzen legen wir fest, um Werte und die Verschiedenartigkeit von Vorstellungen und Strukturen zu schützen. Materie selbst ist Struktur, also Begrenzung. Ohne Abgrenzung gibt es kein Leben. Je durchgeistigter eine Kultur, je mehr die gesunden Grenzen und die Werte im Innern verwirklicht sind, desto mehr können tatsächlich auch die äußeren Zäune innerhalb dieser Kultur fallen. Es bleibt die natürliche Abgrenzung der Kultur nach außen.Ein himmlisches Jerusalem auf Erden
Ein "himmlisches Jerusalem auf Erden" ließe sich auch nicht durch das Einreißen von Zäunen erzwingen.
Grenzen sind menschlich, denn der Mensch ist begrenzt in seinen Möglichkeiten. Aus der Ideologie der Grenzenlosigkeit spricht Selbstüberschätzung und Vermessenheit. Die Folge davon sind noch mehr Streit und Krieg. Im Erkennen der „Zäune“ - die Unterschiedlichkeit erkennend, wie Menschen die Welt verstehen und sehen - werden wir frei davon unseren eigenen Standpunkt zur Ideologie für alle Menschen zu machen. Das macht eine Kultur der Freiheit aus.Nur im Miteinander - Der friedliche Umgang mit Grenzen
Nur im Miteinander, im gegenseitigen Einverständnis, lassen sich Grenzen
(Zäune) überwinden. Doch "überwinden" heißt nicht "abreißen" oder Grenzen nicht mehr wahrzunehmen. Es gibt also einen friedlichen Weg mit Grenzen umzugehen. Dieser kann nur bei uns selbst beginnen. Der Friedensweg ins eigene Innere führte wieder nach außen in die Verantwortung in der Welt. Die politischen Ereignisse in Deutschland vor allem seit dem Jahr 2015 zeigen deutlich, wie wichtig eine Heilung der kulturellen Wurzeln der Deutschen und ihrer Identität ist und wie wichtig eine Etablierung einer Kultur der Freiheit ist, die von innen kommt.Die Entstehung des Steins der Begegnung
Der Zaun am Stein
Macht einen Zaun um das Gesetz! - (Sprüche der Väter, 1. Kapitel, 1. Vers). Das Gesetz, die Tora, ist ein Baum des Lebens heißt es im Judentum. Im Friedensmal ist der Baum des Lebens das zentrale Element. Ein Garten der Freiheit und der Zaun am Stein der Begegnung bilden den Rahmen um das Friedensmals bzw. den Zaun um das Gesetz. Das Wort „Garten“ kommt von dem indogermanischen Wort "Ghorto" und bedeutet Umzäunung. Der "Zaun um das Gesetz" war nicht in der ursprünglichen Planung für das Friedensmal enthalten. Den Zaun und damit den Stein der Begegnung und ein Garten der Freiheit als Rahmen brachte ganz ungeplant das Leben. Die Geschichte ging so:Ursprüngliche Planung
Von der örtlichen Behörde war im Jahr 2012 eine Ausnahmegenehmigung für den Bau eines Pferdekoppelzauns auf dem Nachbargrundstück ausgestellt worden. Unser Denkmal zeigt den
Baum des Lebens, der Richtung Jerusalem einen dunklen Ring (für die dunkle Vergangenheit) durchbricht und so ein Symbol für die Freiheit ist. Der neue Zaun sollte direkt vor dem Durchbruch vom Baum des Lebens entstehen. Das konterkarierte aber die künstlerische Botschaft des Denkmals. Auch fehlte dadurch der ursprünglich geplanten Denkmalgestaltung mit genehmigten 33 großen Erinnerungssteinen die Freiheit, um überhaupt in der angedachten Weise wirken zu können. Ein als erdrückend empfundenes Denkmal ist nicht geeignet eine Botschaft des Friedens und der Freiheit zu transportieren und anziehend auf Besucher zu wirken.NeuePerspektive
Der Künstler ließ 22 Steine im Denkmalkreis weg und ersetzte sie symbolisch im Sinn der künstlerischen Botschaft der Denkmalgestaltung durch den
Stein der Begegnung an der Grenze des Grundstücks. Damit öffnete er den "dunklen Ring" im Denkmal zur anderen dem Zaun abgewandten Seite. Diese Maßnahmen konnten das Landschaftsbild wieder entlasten. Auf dem Stein der Begegnung ist die Friedensbotschaft zu lesen: „Dass wir die Zäune im Miteinander erkennen…". Außerdem wurde durch die Gestaltung von Böschungen (Engelsflügel) an den Seiten des Denkmalareals und eine Anplanierung um den Denkmalkreis dem Zaun eine andere ästhetische Funktion zugewiesen: aus einer Blockade vor dem Baum des Lebens wurde so aus dem Zaun ein Teil eines Rahmens; ein geschützter Raum und "Interface zur Außenwelt" fürs Friedensmal. So überhaupt entstand erst ein Garten der Freiheit als Rahmen.Auseinandersetzung mit dem Leben
Mit dem
Stein der Begegnung und einem Garten der Freiheit als Rahmen gelang es auf diese Weise den Zaun als eine neue deutlich sichtbare Grenze sinnvoll in die Denkmalgestaltung zu integrieren. Es war eine künstlerische Antwort auf das Problem und das führte schließlich zu einer anderen, sowohl inhaltlich als auch ästhetisch sehr viel weiter entwickelten Gestaltung. Die Gestaltung entstand also in einem Prozess in der Auseinandersetzung mit dem Leben. Anfang des Jahres 2019 stieß der Künstler bei einer Internetrecherche auf die Textstelle "Macht einen Zaun um das Gesetz" (Sprüche der Väter). Das Leben selbst hat bewirkt, dass diese Weisung beim Jerusalem Friedensmal zur Wirklichkeit geworden war. Aber da war sogar noch mehr: Es sollte sich später herausstellen, dass auf der dem Zaun abgewandten Seite, zu der hin das Denkmal dann aus ästhetischen Gründen geöffnet wurde, sich früher im Tal das "Jerusalem am Rhein" befand!Kultureller und historischer Kontext
Heilung einer verletzten Wurzel
Yerushalayim ist Wurzel und Vision, eingewebt in unserer Kultur, vielfach verletzt in Vergangenheit und Gegenwart. Die Freiheit und die Fülle des Lebens, die wir uns als Menschen und als Gesellschaft wünschen, sind ohne eine Heilung der tiefen Wunden in der eigenen Seele und im kollektiven Bewusstsein nicht zu leben. Erst das machte uns frei für ein umfassenderes Verständnis der Welt und für verantwortliche Handlungsweisen heute. "Aus der Vergangenheit lernen" bedeutet, eine Bürde der Vergangenheit in einen Segen für die Zukunft zu wandeln.
Einst gab es ein reiches jüdisches Leben in unserer Gegend. In der Nacht vom 9. November 1938 und am folgenden Tag brannten die Synagogen; auch in den Städten Speyer, Worms und Mainz mit ihrer großen jüdischen Vergangenheit. Am 10. November brannte auch die Synagoge in Bensheim. Die jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland und später weit darüber hinaus wurden zerstört. Die jüdischen Deutschen wurden vertrieben oder ermordet.
Deutsche Vergangenheit
Die rohe unbeschriftete Seite des Steins der Begegnung weist nach Westen ins Hochstädter Tal, in dem es aufgrund von Bergbau seit dem Jahr 1865 zahlreiche unterirdische Stollen gibt. Noch gegen Ende des 2. Weltkrieges sollte dort deshalb geschützt vor Luftangriffen eine Rüstungsproduktion aufgebaut werden. Dafür wurden verschleppte Griechen und KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter eingesetzt. An diesem Ort ist damit auch das Thema Krieg und Gewaltherrschaft und unser Umgang mit dieser deutschen Vergangenheit angesprochen. Dieses Lager wurde als Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof im Elsass geführt. Thema ist somit auch das eine System von Haupt- und Außenlagern, das am Kriegsende ganz Europa überzog und sogar kleine Ortschaften wie Hochstädten umfasste. Hier finden Sie meine mit zeitgeschichtlichen Dokumenten belegte Abhandlung über diese deutsche Vergangenheit am Ort.Der Stein der Begegnung mit der Inschrift "Yerushalayim" mahnt als Erinnerungsstein im Kontext eines Zivilisationsbruchs, sich nicht von Ideologien gefangen nehmen zu lassen (Grenzen im Miteinander erkennen) und sich der Werte zu erinnern, die uns vom himmlischen Jerusalem sprechen lassen. Die Schwelle unter dem Stein der Begegnung weist dafür mit dem Satz „Wo sich Staub zu Licht wandelt“ auf das Friedensmal rechts vom Stein.
Hoffnung auf Frieden
Wir wissen, dass wir nie in einer Welt zufrieden sein können in der Ignoranz und Hass überschattet, was eigentlich ein Leben erfüllt von Schönheit, Wahrheit und Güte sein sollte. Nur wo Licht ist, kann Dunkelheit weichen und deshalb steht der Name
YERUSHALAYIM auf dem Stein der Begegnung. Der Name ist eine Hoffnung für die Welt. Der Frieden Jerusalems ist universell; er gilt allen Menschen. Jerusalem könnte und sollte die Menschen zueinander bringen.
Nach Schoah und Krieg schrieb die die mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete deutsch-jüdische Dichterin Nelly Sachs in einem Gedicht: „Ihr Zuschauenden, die ihr keine Mörderhand erhobt, aber die ihr den Staub nicht von eurer Sehnsucht schütteltet, die ihr stehenbliebt, dort, wo er zu Licht verwandelt wird“ . Denkmäler können eine Ermutigung sein, sich für Frieden und Freiheit zu engagieren und so aus der Vergangenheit zu lernen. Nur wo Licht ist kann Dunkelheit weichen. Wie können wir Verantwortung für die Friedenshoffnung Yerushalayims in der Welt übernehmen? Wo fängt unsere Verantwortung an? „Wo sich Staub zu Licht wandelt“ - diese Inschrift auf dem Boden vor dem Stein der Begegnung weist zum Baum des Lebens im Friedensmal. Es geht um den Gang in die eigene Mitte: Frieden und Freiheit beginnen in der eigenen inneren Welt.
YERUSHALAYIM ist ein Ausdruck der Hoffnung. Der Mensch ist nicht nur ein materielles Wesen in einer materiellen Welt. Was ihn ausmacht ist sein Bewusstsein. Der Weg des Menschen durch sein Leben kann auch zum spirituellen Erwachensprozess werden. Religionen können darin Wegbereiter und mit ihrer Struktur, die Abgrenzung und Ordnung bedeutet, Unterstützung sein. Religionen werden dann zum Problem, wenn sie den spirituellen Weg des Einzelnen nicht mehr achten, weil sie zum eingemauerten und verschlossenen Raum einer religiösen Ideologie wurden. Der katholische Theologe Karl Rahner schrieb über die Religion: "Der Fromme der Zukunft wird ein 'Mystiker' sein, einer, der etwas 'erfahren' hat, oder er wird nicht mehr sein."
Rabbiner Mordechai Mendelson am Stein der Begegnung
Schlusswort: Unserer Verantwortung für Frieden und Freiheit
Dieser Text hat die vielschichtige Bedeutung und die tiefgreifende Symbolik des Steins der Begegnung und des gesamten Friedensmals beleuchtet. Von der Inschrift "Yerushalayim" als Ausdruck einer universellen Sehnsucht nach Frieden und Freiheit, über die Bedeutung von Grenzen in der menschlichen Interaktion, bis hin zum kulturellen und historischen Kontext, der uns an die Notwendigkeit der Heilung und des Lernens aus der Vergangenheit erinnert.Die Botschaft ist klar: Frieden und Freiheit sind nicht nur äußere Zustände, sondern beginnen in unserem Inneren. Sie sind das Ergebnis eines bewussten Umgangs mit uns selbst und der Welt um uns herum. Jeder von uns trägt die Verantwortung, diese Ideale in seinem eigenen Leben umzusetzen und damit einen Beitrag für die gesamte Menschheit zu leisten.
Daher lautet der Aufruf zum Handeln: Lassen Sie uns die Lehren und die Symbolik des Friedensmals als Inspiration nehmen, um in unserem eigenen Leben und in unserer Gemeinschaft für Frieden und Freiheit einzustehen. Nur durch bewusstes Handeln und gegenseitigen Respekt können wir eine Welt schaffen, in der die Ideale von "Yerushalayim" nicht nur eine ferne Hoffnung, sondern gelebte Realität sind.
* „Ein Ruf voller Liebe nach Freiheit für den Menschen. Dass wir die Zäune im Miteinander überwinden und unseren Halt nicht hinter Zäunen der Ideologie suchen“. Der Stein mit dieser Inschrift nannte sich „Jerusalem Erinnerungsstein“ und war im Jahr 2012 als Grenzstein gesetzt worden. - Leben ist Entwicklung: Zur Einweihung des gesamten Denkmals im Jahr 2015 unter dem Namen Jerusalem Friedensmal wurde der Erinnerungsstein am Wanderweg umbenannt in „Stein der Begegnung“ und der Spruch wurde 7 Jahre später zu Rosch ha-Schana 2019 verändert in: „Ein Ruf voller Liebe nach Freiheit für den Menschen. Dass wir die Zäune im Miteinander erkennen und unser Leben nicht im Vergangenen suchen“.
Garten der Freiheit
Erbe und Identität